Journaille

magritte_pipeRene Magritte: Der Betrug der Bilder

Presse und Medien verstehen sich als Gegenspieler der Politik. Sie bezeichnen sich gerne als vierte Gewalt, die die anderen drei Gewalten kontrolliert, ursupieren für sich gar den Begriff der öffentlichen Meinung, die sie zu repräsentieren meinen, und werfen den Politikern, die im Gegensatz zu ihnen zumindest gewählt worden sind, ihre Parteilichkeit vor. Demgegenüber glauben sie sich nur der unabhängigen, sachorientierten, neutralen, objektiven, unideologischen und kritischen Berichterstattung für ihre Leser verpflichtet. Sie halten sich für die tragenden Säulen der freien Meinungsäußerung und Garanten eines uneingeschränkten Pluralismus. Denn sie konkurrieren auf dem Markt der Meinungen um die Gunst der Leser, die als mündige Bürger schon das richtige Urteil autonom und selbstbestimmt über die Güte ihrer Produkte fällen.

Und trotzdem ist der angeblich kritische öffentliche Diskurs über die als gesellschaftlich relevant erachteten wirtschaftlichen und sozialen Probleme, aber auch die sogenannten Umweltprobleme bei allen Debatten und Diskussionen, die da geführt werden, und bei allen Unterschieden und Gegensätzen, die in ihm artikuliert werden und ihn strukturieren, so eindimensional und so gleichgeschaltet, dass das, was politische Parteien und Medien sonderbarer Weise in völliger Eintracht diesbezüglich an Meinungsäußerungen produzieren, eigentlich nur noch als Indoktrination bezeichnet werden kann. Denn getragen wird dieser Diskurs von der unausgesprochenen Voraussetzung, dass die kapitalistische Produktionsweise und die ihr zugrundeliegenden gesellschaftlichen Verhältnisse nie in Frage gestellt werden dürfen. Wenn sich der Begriff der Mainstreammedien, wie er in dieser Zeitschrift verwandt wird, definieren lässt, dann durch diese Abstraktion, die der Affirmation des Bestehenden gleichkommt, und ihnen allen gemeinsam ist.

Damit soll keineswegs behauptet sein, dass nicht gestritten würde oder dass es an Pluralismus fehle. Vielmehr wird endlos gestritten, denn keines der angesprochenen Probleme kann in dem Diskurs auch nur theoretisch gelöst werden, weil sie systematische und notwendige Produkte eben der kapitalistischen Produktionsweise sind, die in und durch ihn tabuisiert wird. Je informativer die Medien zu sein behaupten und je pragmatischer sich die öffentliche Diskussion gibt, desto ideologischer ist sie, weil die Beteiligten dort, wo sie die Sache in ihrer kapitalistischen Formbestimmung verhandeln, so tun, als hätten sie es mit der Sache selbst zu tun. Und je realistischer die Darstellung der Probleme und die Lösungsvorschläge für sie sein sollen, desto utopistischer sind sie, weil gerade ihre Ursachen nicht in Betracht gezogen werden. So erhält sich der Diskurs selbst am Leben. In immer neuen Foren sprechen Politiker und Journalisten in immer neuen Variationen über die immer gleichen Probleme, deren Lösung sie sich auf die Art, wie sie darüber sprechen, nicht nähern können und wahrscheinlich nicht einmal wollen. Die Zuschauer und Zuhörer wenden sich jedoch ab und zappen lieber durchs Programm, weil sie berechtigter Weise das ungute Gefühl beschleicht, dass es in solchen Diskussionen um alles Unmögliche geht, nur nicht um das Mögliche, um das es gehen sollte. Dieser Pluralismus ist seiner Form nach ideologisch, weil er Offenheit vorspiegelt, um über seine Geschlossenheit, über das, was verdrängt, verschwiegen, um jeden Preis draußengehalten werden muss, hinwegzutäuschen.

Will man eine Gegenöffentlichkeit schaffen, reicht es nicht die berühmte Alternative zu bieten. Damit ordnet man sich nur in den gängigen Pluralismus ein, um auf genau diese Art dessen Neutralisierung durch Beliebigkeit anheimzufallen. Eine Gegenöffentlichkeit kann nur entstehen, wenn man sich mit der etablierten Öffentlichkeit auseinandersetzt und dem Rätsel ihrer Gleichgeschaltetheit ohne Zensur und Kartell auf die Spur zu kommen versucht. Gegenöffentlichkeit ist nicht nur das Projekt einer anderen Öffentlichkeit, sondern auch gegen die etablierte gerichtet. Deshalb werden Presse und Medien unter der Rubrik Journaille in dieser Zeitschrift explizit zum Gegenstand gemacht und ihnen eine eigene Seite gewidmet. Es sollen relevante Informationen über die Journaille gesammelt und in kritischen Beiträgen ausgewertet bzw. aufgeschlossen werden. Dazu bedarf die Redaktion in besonderer Weise der Unterstützung und Mitwirkung ihrer Leser, die hiermit zur Mitarbeit aufgefordert seien. Die Betrachtung der Mainstreammedien ist das wirkliche Vernetzungsprojekt dieser Zeitschrift.

Einen Anfang könnte man damit machen, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse und Strukturen, die Funktionsmechanismen und Unternehmensverflechtungen der Presseorgane und Medienanstalten zu untersuchen und solchen Fragen nachzugehen wie: In welchen Unternehmungen sind Presse und Medien konzentriert? Welche Marktmacht repräsentieren sie? Welches Verhältnis besteht zu den Auftraggebern von Werbung, welches zu den Lesern? Wie funktionieren die Redaktionen? Was für Korrespondentennetze werden noch unterhalten? Genauso wichtig ist es aber auch, den Produktionsprozess der Meinungen, das sogenannte Handwerk des Journalismus, den Diskurs selbst und vor allem seine Sprache genauer unter die Lupe zu nehmen und Antworten auf z.B. folgende Fragen zu suchen: Wer diskutiert worüber? Inwieweit schreiben die Redaktionen voneinander ab? Inwieweit übernehmen sie nur die Meldungen von Agenturen? Wie kommen die Agenturen an Nachrichten und bereiten sie sie auf? Wie kommen die Redaktionen sonst an Informationen und wie verarbeiten sie sie? Welche Ausdrücke und Sprachregelungen prägen sie? Welche Bedeutung haben sie? Wie entstehen sie und wie setzen sie sich durch? Etc. pp.

Die Redaktion bittet dringend um Mithilfe.

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