Bundesligacoronaorgie

Anfang der Woche warnte die Kanzlerin vor „Öffnungsdiskussionsorgien“. Mit dem sonderbaren Wortungetüm wollte sie wohl eher darauf anspielen, wie zügellos als wie lustvoll die Debatte um sogenannte Lockerungen der Coronabeschränkungen geführt werde. Aber die nun schon mehrmals wiederholte Mahnung zur Disziplin wirkt jedes Mal hilfloser. Nicht einmal in der eigenen Partei wird sie beherzigt. Ausgerechnet ihr ehemals getreuer Parteifreund Armin Laschet treibt es so „dolle“, dass die überforderte Kanzlerin in ihrer Regierungserklärung nochmal nachlegen musste und betonte, dass ihr das Vorgehen in manchen Bundesländern, deutlich „zu forsch“ sei. Dietmar Bartsch klärte dann für sie, die nicht direkt den möglichen nächsten Kanzlerkandidaten der CDU angehen wollte, dass der nordrhein-westfälische Ministerpräsident sich angesprochen fühlen sollte. Denn der hatte sich in den Wochen davor schon damit hervorgetan, dem Publikum den besorgten Landesvater zu geben, der das große Ganze im Blick behalten müsse und besonnen die möglichen gesundheitlichen Schäden, die die Epidemie verursachen kann, gegen die sozialen und ökonomischen Schäden, die bei ihrer Eindämmung entstehen, abzuwägen habe. Dass sich der Gegensatz zwischen Gesundheitsvorsorge und Wirtschaft und damit die Nötigung zur Abwägung vor allem daraus ergibt, dass die in den letzten Jahrzehnten erheblich beschleunigten Kapitalverwertungszyklen keine Unterbrechung dulden, hat er dabei selbstverständlich nicht in Erwägung gezogen. Nach dieser „Steilvorlage“ eines Ministerpräsidenten war klar, dass nun jeder, aber auch jeder Teil des Ganzen angedackelt käme, um noch eins drauf zu setzen, in der Öffentlichkeit sein Leid und die Ungerechtigkeit, die ihm widerfahre, zu beklagen, darzulegen, wie überlebenswichtig sein Geschäft sei, und zu fordern, dass die Beschränkungen, die ihn angehen, aufgehoben werden müssen. So entsteht das falsche Bild, als sei, was allein den von der kapitalistischen Produktionsweise gesetzten Zwängen geschuldet ist, Ausdruck der genuinen Bedürfnisse und Wünsche, derer, die da ihre Ansprüche anmelden, und als würde jeder sich nichts so herbeisehnen, als wieder ins Hamsterrad hineinsteigen zu dürfen. Unterstützung erfahren die Normalitätssüchtigen natürlich von FDP und AFD, die seit jeher die Geldmacherei für den Inbegriff menschlicher Freiheit halten, und von einer Journaille, die sich sowieso immer als Sprachrohr der Bevölkerung ausgibt, wenn sie Wirtschaftsinteressen Geltung verschaffen will.

Da nimmt es nicht Wunder, dass sich nun auch die Deutsch Fußballliga (DFL) zu Wort meldet und ein Konzept vorstellt, wie der Spielbetrieb in der ersten und zweiten Bundesliga im Mai wieder aufgenommen werden könne. Denn die Clubs wollen nicht auf das Geld aus dem Verkauf der Fernsehrechte verzichten, der inzwischen mehr einbringt als der Kartenverkauf für die Stadionplätze. Das Fernsehgeld müssen sie aber nur dann nicht zurückzahlen, wenn die Spiele – und seien es Geisterspiele – auch ausgetragen werden. Hier soll gar nicht darauf abgehoben werden, dass es mit der Vorbildfunktion des Fußballs und der Fußballer, die sie so gern zum Zweck der Imagepflege für sich in Anspruch nehmen, nicht so weit her sein kann, wenn sich die Fans, die im Alltag pingeligste Abstandsregeln einhalten sollen, am Bildschirm sich harter körperlicher Zweikämpfe erfreuen dürfen. Aber zum Konzept der DFL gehört, dass die Fußballprofis, eben wegen der intimen Körperkontakte, die sie auf dem Spielfeld pflegen, regelmäßig auf Corona getestet werden, sodass bis Saisonende etwa 20000 Tests bereitgestellt werden müssten, um den Spielbetrieb durchführen zu können.

Angesichts der Obszönität einer solchen Forderung möchte man es der Pastorentochter Merkel nachsehen, wenn sie die Orgie assoziiert. Muss man doch froh sein, wenn es einem dabei nicht gänzlich die Sprache verschlägt. Es gibt offensichtlich Leute, die, wenn es ums Geld geht, keinerlei Schamgrenze mehr kennen. Seit Wochen hören wir von jedem Virologen, dass Tests der Schlüssel sind, die Pandemie in den Griff zu bekommen, dass viel mehr getestet werden müsste, dass die Testkapazitäten bei Weitem nicht ausreichen und dringend ausgebaut werden müssen – z.B. indem die Labore der Veterinäre einbezogen werden –, dass nicht einmal das medizinische Personal und die Angehörigen der Pflegedienste zur Genüge getestet werden können, von anderen „systemrelevanten“ Gruppen ganz zu schweigen. Alte Menschen vereinsamen in Heimen, weil die Angehörigen sie nicht besuchen, solange sie sich nicht testen lassen können, wichtige Reisen müssen verschoben werden, weil man ohne Test nirgends mehr einreisen darf etc. pp.. Und die Kicker der Bundesligen wagen es allen Ernstes, die Öffentlichkeit mit ihren unmaßgeblichen und zugleich unverschämten Bedürfnissen zu belästigen? Haben die noch alle Tassen im Schrank, möchte man da fragen. „Ja, aber die Armen brauchen doch so dringend die Einnahmen, etwa die Hälfte der Clubs soll vor der Pleite stehen.“ Nach den notleidenden Banken lernen wir jetzt noch die notleidenden Bundesligaclubs kennen. Vielleicht wäre ja auch ihre Not nicht so groß, wenn die angebliche Normalität, zu der sie unbedingt zurückkehren möchten, nicht so aussähe, dass sie das viele Geld, das sie verdienen, für exorbitante Transfersummen und Gehälter für ihre Luxussklaven verpulvern? Wenn irgendjemandem in dieser Republik ein wenig Verzicht wirklich nicht weh tut, dann sind es wohl die überbezahlten Kicker und ihre Funktionäre. Und selbst ein Bankrott wird keinen von ihnen an den Bettel bringen.

Aber obwohl das Ansinnen der DFL so unglaublich ist, bleibt der öffentliche Aufschrei der Empörung aus. Medien und Fans können es gar nicht erwarten, zum trocken Brot nun endlich wieder ihre Spiele zu bekommen. Aber auch der Gesundheitsminister, der bereits Fehler bei der Beschaffung von Schutzausrüstung eingestehen musste, zeigt Sympathie für ein Konzept zur Verschwendung wichtiger und knapper Coronatests. Selbst die ewigen Kontrahenten um Profilierung in der Coronakrise Söder und Laschet sind sich ausnahmsweise einig, das Konzept der DFL wohlwollend prüfen zu wollen. Wie will man aber besonnen abwägen, wenn einem jegliche Maßstäbe dazu abgehen? Wie hieß es vor Corona immer vom Fußball? Ist er nicht die „schönste Nebensache der Welt“? Über das Attribut „schönste“ mag man sich streiten können, darüber, dass er eine Nebensache ist, jedoch nicht. Deshalb stellen auch wir jetzt unsere Forderung in der Coronadebatte: Abbruch der Bundesligasaison!!!

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