Die spinnen, die Griechen?

Es reicht! Die nerven gewaltig! Allerdings weniger die Griechen, als vielmehr deren Verhandlungspartner bei der EU, Herr Schulz eingeschlossen. Vom Gegenstand der Verhandlungen erfährt die Öffentlichkeit kaum etwas. Darüber, welche Vorschläge die griechische Seite gerade gemacht hat, findet man in den Gazetten gar nichts. Worauf die EU-Vertreter bestehen, davon wird nur in Stichworten berichtet. Stattdessen wird man ausführlich über die oftmals gereizte Stimmung unterrichtet und natürlich darüber, dass es seit Monaten nicht vorwärts geht. Trotzdem scheint man sich in politischen Kreisen, Medien und Öffentlichkeit hierzulande völlig einig und sicher zu sein, dass das an den Griechen liegen muss. Woher wissen die das nur alle? Und wenn die Medienvertreter so wenig wissen, wie sie veröffentlichen, wie kommt es zu dieser sonderbaren Einigkeit? Wenn zwei Parteien miteinander verhandeln und sich offensichtlich streiten, sollte man von Berichterstattern dann nicht erwarten, dass sie zu beiden Seiten ein wenig Distanz halten? Ist es Ausdruck der vielbeschworenen Ausgewogenheit, davon auszugehen, dass es die Schuld nur eines Beteiligten ist, wenn es zu keinem Vertragsabschluss kommt?

Zweierlei scheint die Mediensicht zu prägen. Zum einen eine recht erstaunliche Identifikation mit den EU-Vertretern, zum anderen eine ebenso erstaunliche Selbstsicht. Unterschwellig scheinen alle Berichte und Kommentare von der befremdlichen Überzeugung bestimmt, dass die EU-Vertreter die Interessen der Journalisten und Leser verträten. Schließlich sind sie die irgendwie gewählten Repräsentanten all jener Steuerzahler, deren Geld sich die griechische Regierung leihen will. Diese schlichte Konstruktion bildet die Grundlage für das dubiose Wir-Gefühl, das in jeder Äußerung mitschwingt, und macht die Repräsentierten, zu denen auch die Journalisten gehören, selbst zur Partei. Sie beruht ihrerseits auf der Verdrängung des inzwischen allbekannten Tatbestandes, dass eben diese Repräsentanten erst dafür gesorgt haben, dass die faulen Kredite, die die Banken vergeben hatten, verstaatlicht wurden, sodass nun der berühmte Steuerzahler dafür gerade stehen darf. Dementsprechend fühlen die Politiker sich jetzt dazu verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Griechen ihre Schulden auch bedienen. Mit den Krediten, über die sie derzeit mit ihnen verhandeln, sollen die schließlich zum ganz überwiegenden Teil nur die früheren samt Zinsen abzahlen. Die Griechen sehen von dem Geld so gut wie nichts. Davon werden keine Straßen und Schulen gebaut, auch keine korrupten Beamten geschmiert, sondern es macht nur eine kleine Rundreise über Athen zurück zu den sogenannten Institutionen.

Die beschriebene Verdrängungsleistung scheint nur möglich, wenn nicht nur vorausgesetzt wird, dass wir alle in einem jeweils nationalen oder einem EU-Gläubiger-Boot sitzen, sondern dieses Wir, nur weil wir es sind, auch nur Gutes will. Schließlich wollen wir den Griechen doch nur helfen. Statt Danke zu sagen, beschimpfen sie uns, behaupten, erpresst zu werden, und stellen auch noch Bedingungen. Das ist empörend. Sie haben sich nur mit Tricksereien die Mitgliedschaft im Euro-Club erschlichen, haben bisher weder ihre Wirtschaft auf Vordermann gebracht, noch ihren Staat anständig organisiert, und weigern sich nun, die gutgemeinten Ratschläge ihrer viel erfolgreicheren Partner anzunehmen.

Zumindest von dem, wozu die raten, ist denn doch ein wenig durchgesickert: Rentenkürzungen, Mehrwertsteuererhöhung, Privatisierungen. Welch einfallsreiche Rezeptur! Da fragt sich doch gleich, wer hier stur ist. Ist das nicht das, was die frühere Troika Griechenland nun bereits seit Jahren verordnet und was das Land nur noch viel tiefer in die Krise geritten hat? Angesichts solcher Starrköpfigkeit der EU-Vertreter sollte doch bei jedem Journalisten, der unbedingt seinen Schuldigen braucht, der Verdacht aufkeimen, dass vielleicht die EU-Vertreter verantwortlich dafür sind, dass es bei den Verhandlungen keine wirklichen Fortschritte gibt. Aber nichts dergleichen lässt sich erkennen.

Was nicht sein darf, das nicht sein kann. Schließlich haben solche Torturen alle anderen in Europa auch über sich ergehen lassen müssen, setzten und setzen alle Regierungen ohne Rücksicht auf die Bevölkerungen, die sie gewählt haben, durch, was der Wirtschaft frommt. Da kann die griechische Regierung nicht einfach ausscheren, und den europäischen Konsens und die gemeinsame Wertebasis der EU missachten. Wenn also die Griechen sich mit solchen Maßnahmen nicht aus ihrem Sumpf ziehen können, muss das wohl doch an ihnen liegen. Es fehlt ihnen die Geduld oder schlimmer: das Durchhaltevermögen. Sicher trifft man allenthalben Obdachlose und Bettler auf den Straßen Athens, sicher ist die Arbeitslosenrate etwas hoch, und sicher sollte man derzeit in Griechenland besser nicht krank werden oder in Rente gehen müssen. Aber das sind nunmal notwendige Opfer fürs allgemeine Beste. Denn am Ende des Tals der Tränen winkt der Wirtschaftsaufschwung, so wie in Deutschland. Und dann, wenn sich auf der Basis von Massenverelendung und Enteignungen die Wirtschaft wieder erholt und die Staatsfinanzen konsolidiert haben, kann man das Rad wieder ein klein wenig zurückdrehen. Dann kann man wieder seinen Wahlkampf wie die CDU mit dem Slogan bestreiten, dass Steuererhöhungen Gift für die Konjunktur seien – wobei natürlich Erhöhungen der Vermögens- oder Erbschaftssteuer gemeint sind –, man kann wie die SPD einen Mindestlohn durchdrücken – den es in Griechenland schon lange gibt –, man kann zusammen als kleines Pflaster für frühere Rentenkürzungen eine Mütterrente und einen früheren, abschlagsfreien Renteneintritt für bestimmte Berufsgruppen beschließen, und man kann sich endlich der Aufgabe annehmen, all die Schäden an der Infrastruktur jedweder Art zu beheben, die der losgelassene Staatsverschlankungs- und Privatisierungswahn früherer Jahre hinterlassen hat.

Nur eins scheint das Vorbild auch hier zu vergessen, nämlich dass alle in dem Euro-Boot zusammensitzen. Und das bedeutet, dass sie bestimmte Verhältnisse zueinander eingehen, das ist ja gerade der Witz an der EU, vor allem jedoch an der Währungsunion. Und was sich da im Verhältnis der Staaten zueinander zeigt, ist nur ein national verzerrtes Abbild der herrschenden sozialen Verhältnisse, die darauf beruhen, dass die Reichen reich sind, weil und insofern die Armen arm sind. Niemand profitiert derart wie der deutsche Staat und die dort ansässige Volkswirtschaft von der Krise in anderen EU-Ländern. Es soll hier der Hinweis darauf genügen, wieviel Herr Schäuble allein an Zinsen jedes Jahr spart, weil deutsche Staatsanleihen sicherer erscheinen als die Italiens oder Spaniens. Nerven jedoch die Griechen weiter, könnte man hierzulande durchaus zu dem Schluss kommen, dass man das Zusammensein mit ihnen in einer Währungsunion lange genug ausgenutzt hat und von ihnen nichts mehr zu holen ist. Und dieser Kurs, den die AFD schon eingeschlagen hat, wird dann sicher auch von einer Bevölkerung mitgetragen, für die Solidarität ein Fremdwort, die aber stattdessen immer bereit ist, jedes Opfer, auch einen Verlust der Kredite aus Steuermitteln, zu bringen, solange es den anderen ein wenig schlechter geht, und sie sich als etwas Besseres – in welchem Sinn auch immer – imaginieren kann.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Journaille, Politik und getaggt als , . Fügen Sie den permalink zu Ihren Favoriten hinzu.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

16 − 6 =