Ebola, auch eine Pressekrankheit?

Geschichten, die der Kapitalismus schreibt. Eine Kolumne von Klein-Dombrobski

Inzwischen wird immerhin einigermaßen extensiv über die Ebolaseuche in Westafrika berichtet, auch wenn es lange gedauert hat. Zumeist geht es darum, dass die sogenannte Staatengemeinschaft die Krankheit nicht ernst genommen und nichts gegen ihre Ausbreitung unternommen habe. Schließlich liegen die Ebolagebiete weit entfernt, z. B. in Sierra Leone. „Wo war das nochmal? In Afrika? Ach so, dann verrecken da ja nur ein paar ‚Nigger‘. Sind sowieso zu viele. Das geht uns ja nichts an.“ Die nationalstaatliche Gliederung der Welt wirkt als Wahrnehmungs- und Hilfehemmnis, die moderne Staatenordnung vormodern mittelalterlich im Verhältnis zur internationalen Verflechtung von Infrastruktur und Wirtschaft. Mittags lässt man sich sein Straußensteak, frisch aus Australien eingeflogen, munden, aber vor den Nachrichten, wenn der Staatsbürger seine Abendandacht hält, wähnt er sich auf einem anderen Stern. Das ist schlimm genug und die Pressekritik an spießbürgerlicher Kälte, an den Staatsorganen, vor allem denen hochindustrialisierter Gesellschaften mit ihren im Vergleich zu den betroffenen Ländern Westafrikas entwickelten Gesundheitssystemen, und ihren Regierungen sind mehr als berechtigt.

Und dennoch kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Fokus falsch gewählt ist. Seit 1976 ist Ebola bekannt. Seitdem tritt es alle paar Jahre auf und führt in 90% der Fälle zum Tod. Knapp 40 Jahre Zeit also, Medikamente dagegen zu entwickeln. Aber Ebola gehört leider zu den von der Pharmaindustrie „vernachlässigten“ Krankheiten, will sagen zu jenen Krankheiten, für die der Aufwand schlicht nicht lohnt. Zwar gibt es einen dringenden Bedarf an medizinischen Mitteln gegen sie, aber entweder ist er zu gering oder die Bedürftigen sind nicht zahlungsfähig. Insgesamt summiert sich die Zahl derjenigen, die an solchen Krankheiten leiden, auf über eine Milliarde Menschen, die – Pech für sie – zumeist aus Ländern der sogenannten Dritten Welt stammen. Sie alle leiden weniger unter einer ungnädigen Natur, als vielmehr unter brutalen gesellschaftlichen Verhältnissen. Roman Wölfel, leitender Virologe am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr, beschreibt das Problem mit Ebola und allen anderen vernachlässigten Krankheiten folgendermaßen: „Ein Mittel gegen Ebola zu finden, ist technisch keinesfalls ausgeschlossen. Aber ob ein solcher Wirkstoff wirklich Marktreife erlangen kann, ist aus heutiger Sicht eher fraglich“ (zitiert nach: Warum Ebola kaum jemanden interessiert, aus: Die Welt, 07.04.2014).

Schließlich ist das technische Potential etwas anderes als das ökonomische Potential und das wieder etwas ganz anderes als die ökonomische Aktualität. Wissenschaftlich und technisch hält der Virologe es für möglich, einen Wirkstoff zu finden und zu produzieren. Die Produktionsmittel und entsprechend ausgebildete Arbeitskräfte scheinen auch in ausreichendem Maße vorhanden. Aber an der Marktreife fehlt es. Mit anderen Worten: Die Medizin kann nicht profitabel hergestellt werden, so, dass das eingesetzte Kapital sich auch verwerten würde. Ein schöneres Beispiel für die Segnungen der Mehrwertproduktion und den ihr inhärierenden Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen wird man schwerlich finden können. Aber Vorsicht! Diese Begriffe erfassen zwar exakt den sozialen Sachverhalt, es handelt es sich bei ihnen jedoch um Wortschöpfungen aus dem Reich des Marxismus. Am Ende verleitet ihr Gebrauch das Denken dazu, den Kapitalismus in Frage zu stellen. Richten sie den Blick nicht weg von den Staaten, die die liberale Presse als vierte Gewalt, als die sie sich versteht, so gerne kritisiert, auf die Wirtschaftsform, die die Grundlage sowohl für die Pharmaindustrie, als auch für die Presseunternehmen, als auch für die Handlungsfähigkeit der Staatsorgane bildet? Erscheint es unter diesem Blickwinkel nicht einigermaßen wohlfeil, die Politiker ob ihrer Tatenlosigkeit zu beschimpfen, wenn die als unabänderlich vorausgesetzten Produktionsverhältnisse nun einmal die absolute Grenze aller Handlungsfähigkeit darstellen, weil unter ihren Bedingungen die Mittel zu den Taten nicht bereitstehen und nicht bereitstehen können? Also lässt die Presse die Finger von diesem marxistischen Teufelszeug. Sie verweist lieber darauf, dass inzwischen auch die Pharmamanager begriffen haben, dass die reine Berufung auf den Profit schlecht für das Image ist. Auch sie wollen schließlich gute Menschen sein, auch sie haben nichts anderes im Sinn als die Menschheit zu beglücken und ihr Arbeitsplätze und Heilmittel zu schenken (vgl. ebd.). So suchen sie verzweifelt nach Möglichkeiten Bedarf und Marktgesetze in Übereinstimmung zu bringen. Das ist eine schwierige Angelegenheit, fast so schwierig wie die Quadratur des Kreises. Sie bereitet ihnen großes Kopfzerbrechen und wird viel Zeit in Anspruch nehmen. Denn auch für die Manager gilt nunmal: „Die Verhältnisse, sie sind nicht so“. Inzwischen leiden die Menschen überflüssigerweise weiter und nehmen die Opferzahlen weiter zu.

Zum Glück könnte sich wenigstens bei Ebola nun mehr oder weniger von alleine etwas ändern. Endlich hat man eine anständige Epidemie, 5000 sind schon tot, 10000 infiziert, die öffentliche Aufmerksamkeit ist groß und mit der WHO und den Industrieländern, die fürchten, dass das Virus bei ihnen eingeschleppt wird, gibt es nun auch mögliche Abnehmer, die Geld haben. Da kann man schon auf den Gedanken kommen, dass es ein großer Fehler der Regierungen der Länder, in denen die Seuche wütet, war, den Versuch zu unternehmen, sie einzudämmen und die Kranken unter Quarantäne zu stellen. Das Umgekehrte hätten sie tun sollen. Freitickekts für alle Ebolainfizierten hätten sie ausstellen sollen. Ab ins nächste Flugzeug mit ihnen und nach Europa oder die USA. Hinflug hätte genügt. Vielleicht wäre dann alles sehr viel schneller gegangen und weniger wären gestorben. Mal sehen, wieviele Tote noch auf das Konto des Kapitalismus gehen müssen, bis auch die Öffentlichkeit hier merkt, dass man sich nicht mit einer schlechten Welt abfinden muss, bloß weil man sie immer noch für die beste aller möglichen hält, obwohl eine bessere längst möglich ist.

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