Von der Ideologie des nationalistischen Antikapitalismus

Druckversion_Beitrag_nationalistischer_Antikapitalismus

manche meinen
lechts und rinks
kann man nicht
velwechsern.
werch ein illtum!
(Ernst Jandl: lichtung,
aus „Laut und Luise“)

Man soll es nicht glauben: Im Deutschlandfunk, unserem Nationalsender, wird am Sonntag morgen eine halbe Stunde vor der üblichen Übertragung irgendwelcher Gottesdienste, also zur besten Besinnungszeit kurz vor der religiösen Andacht, ein Gespräch mit einem Soziologen ausgestrahlt, der sich mit der Krise und dem Ende des Kapitalismus beschäftigt (Nachzuhören und nachzulesen unter: https://www.deutschlandfunk.de/kapitalismus-alles-kommt-einmal-zum-ende.1184.de.html?dram:article_id=313737; Stand 19.04.2015). Der Soziologe ist Wolfgang Streeck, der emiritierte Direktor des Max-Planck-Institutes für Gesellschaftsforschung in Köln, das bisher eigentlich noch nicht als kommunistische Kaderschmiede aufgefallen ist. Und dennoch ist er von der Götterdämmerung des Kapitalismus derart überzeugt, dass er in seinem Aufsatz „Wie wird der Kapitalismus enden?“, dessen Lektüre seinen Gesprächspartner Matthias Greffarth, Autor und Journalist u.a. für die Zeit und die Le monde diplomatique, zu der Einladung beim DLF veranlasst hat, sich nicht einmal mehr die Frage nach dem „ob“ eines Untergangs dieser Wirtschaftsform stellt. Tatsächlich bieten beide, nicht nur der Soziologe, von dem man es erwarten kann, sondern auch der Journalist den Hörern dieses Senders recht ungewohnte Kost, denn sie zeigen sich recht vertraut mit den Schriften von Marx und analysieren auf deren Basis die moderne Entwicklung des Kapitalismus.

Da wird sich mancher gefragt haben, ob er seinen Ohren trauen darf. Das beginnt schon damit, dass Herr Streeck die in der Soziologie so beherrschende Systemtheorie anklagt, diese Wissenschaft vollkommen enthistorisiert zu haben. So sei ihr aus dem Blick geraten, dass alles, was, wie der Kapitalismus, einen geschichtlichen Anfang hat, auch zu einem Ende kommen kann. Darauf wird die Entwicklung des Kapitalismus im 20. Jahrhundert ins Visier genommen. Nicht so sehr mit dem New Deal, als vielmehr mit dem zweiten Weltkrieg und seinen immensen Zerstörungen sei die Grundlage für die 3 Jahrzehnte der Prosperität gelegt worden, die auf ihn folgten. Damit seien dem Kapital eben jene dringend benötigten neuen Anlagemöglichkeiten im Zuge des Wiederaufbaus verschafft worden, die es brauchte, um eine derart einzigartige Wachstumperiode hinlegen zu können. Diese Phase, eingerahmt von der vergleichsweise übersichtlichen politischen Ordnung des West-Ost-Gegensatzes, gekennzeichnet durch eine Schwäche der Kapitalseite als einem weiteren zufälligen Produkt desselben Krieges, einem sich daraus ergebendem Kompromiss zwischen Arbeit und Kapital, der auf den Tausch der Sozialisierungsforderung gegen Mitbestimmung und Hebung des allgemeinen Lebensstandards hinauslief, und einer recht strikten gesellschaftlichen Kontrolle der Profitkräfte, die mit einem echten liberalen Kapitalismus nicht vereinbar sei, gelte bis heute bis weit in die Linke hinein als Paradigma, obwohl sie historisch betrachtet eine absolute Ausnahme in der Geschichte des Kapitalismus darstelle.

Wie aus dem marxistischen Lehrbuch wird dann der Zerfall dieser Konstellation in den 70er Jahren als Folge des tendenziellen Falls der Profitrate beschrieben. Es setzte, so der Soziologe, eine neue Phase ein, eine Art Rückkehr zu einem liberalen Kapitalismus, die die ökonomische Entwicklung bis heute bestimme. Ihren Ausgang habe sie genommen von der Entscheidung der Unternehmer, die abnehmenden Zuwächse nicht mehr länger mit starken Gewerkschaften teilen zu wollen und die Verteilung des Reichtums stattdessen den Marktkräften zu überantworten, was zu neuen Verteilungskonflikten führen musste. Der Hebel, den man angesetzt habe, um solche Veränderungen durchzusetzen, sei der der Globalisierung gewesen. Auf diese Weise seien die Gewerkschaften entmachtet worden, weil sie dem international sich organsierenden Kapital nicht mehr auf gleicher Ebene entgegentreten konnten, das, auf dem Weltmarkt agierend, die Arbeitsvertretungen, die ihre Aktivitäten nur in meist national begrenzten Marktsegmenten entfalten, gegeneinander ausspielen konnte.

Um die neuen Verteilungskonflikte zu befrieden, seien in der Folge immer neue Prozesse in Gang gesetzt worden, die jedoch immer nur temporär Abhilfe schaffen konnten, und noch schlimmer: selbst irgendwann zu neuen erheblichen Problemen führten, die wieder andere Maßnahmen notwendig machten, die sich aber ebenso schnell aufbrauchten. Es begann mit der Inflation, die musste mit einem Zuwachs der Staatsverschuldung aufgefangen werden, die ihrerseits auf die Gesellschaft insgesamt verschoben wurde. Begleitet wurde das Ganze von einem Anwachsen der Arbeitslosigkeit, der Flexibilisierung der Arbeit, des Abbaus des Sozialstaates, der Deregulierung der Arbeits- und der Finanzmärkte usw. usf.

Angesprochen darauf, warum er angesichts dieser Entwicklung nun von einem Ende des Kapitalismus ausgehe, da es dem doch bisher immer gelungen sei, sich durch und in seinen Transformationen zu erhalten, weicht der Soziologe aus. Was er hingegen deutlich zu erkennen meint, ist, dass jede vermeintliche Lösung der Probleme, die der Fortbestand dieser Wirtschaftsform produziert, sogleich in den nächsten Schlamassel führt. Er formuliert damit recht prägnant, was man das Gesetz des derzeitig herrschenden Pragmatismus nennen könnte und erklärt damit, warum jede Reform bereits den Keim ihrer eigenen Reformierung enthält. Aber ein dem Kapitalismus immanentes Ende lässt sich daraus nicht ableiten. Der Soziologe kann nur seiner festen Überzeugung Ausdruck geben, dass das so nicht weitergehen könne, offenbar weil die ständige Verschärfung der sozialen Ungleichheit durch solche Reformen eben nicht aufgehalten werden kann.

Bis dahin mag der überraschte Zuhörer davon angenehm berührt sein, dass nun endlich auch einmal in einem zentralen Informationsmedium über den Kapitalismus als Ursache all jener Probleme gesprochen wird, die sonst die Mainstreammedien zwar rauf- und runterdeklinieren, aber in einer völlig verzerrten Form, weil nie die Wirtschaftsform in Frage gestellt wird, die sie hervorbringt. Vielleicht denkt er sich auch, dass diese Sendung nur wieder eine von einigen wenigen anderen ist, die als Feigenblatt dazu dienen sollen, den Medien den Schein von Offenheit, Diskussionfreiheit und Pluralität zu verleihen; dass sie wie die anderen ihres Schlages im Sumpf der Beliebigkeit versinken wird; dass sie in den strukturell gedächtnislosen Medien, in denen keiner auf den anderen Bezug nimmt und deshalb jedes Lernen ausgeschlossen ist, die Dominanz der Anhänger des Kapitalismus von einer solchen Ausnahme von der Regel überhaupt nicht tangiert wird; dass in der nächsten zentralen Nachrichten- und Informationssendung wieder derselbe neoliberale Mist hergebetet werden wird, den man den Zuhörern nun schon seit Jahren dort eintrichtet, so als habe es diese Sendung gar nicht gegeben und so, als sei darin nicht in einer vielleicht nicht wirklich radikalen, aber doch verhältnismäßig klaren, gar luziden Analyse dargelegt worden, dass die unglaublichen Katastrophen des 20. Jahrhunderts den Nährboden bildeten, auf dem jene keysianische Periode erwachsen konnte, der noch die gesamte organisierte Arbeiterbewegung bis heute nachtrauert, und dass der Kapitalismus anderswo ständig Ähnliches produziert und auch in Europa nach Ende des Keysianismus wieder direkt Kurs genommen wird auf die nächste soziale Katastrophe. Trotzdem wird dieser Zuhörer froh darüber sein, dass ihm 25 Minuten des Durchatmens geboten wurden, in denen ihm ein Soziologe, der es sich als Emeritus offenbar leisten kann, endlich, statt sich in die unsägliche Expertenrolle zwängen zu lassen, seine Aufgabe als Intellektueller wahrzunehmen, und ein Journalist, der tatsächlich an Information und Aufklärung interessiert zu sein scheint, vorführen, was das Radio leisten könnte.

Aber bekanntlich soll man den Tag nicht vor dem Abend loben. In den letzten 5 Minuten, als es darum geht, wie das Ende des Kapitalismus aussehen wird und was an seine Stelle treten kann, nimmt das Gespräch eine ebenfalls erstaunliche Wendung. Denn da auch Herr Streeck kein immanentes, selbstgemachtes Ende des Kapitalismus entdecken kann, muss er seine Zuflucht beim sogenannten „subjektiven Faktor“ nehmen, dazu dass der von ihm beschriebene Prozess dazu tendiert, den Menschen zu einer unerträglichen Last zu werden, die sie abzuschütteln versuchen werden. Aber auch auf dieser Seite stellen sich der Prognose, wie sich zeigt, Schwierigkeiten entgegen. Zwar seien die Organisationsmöglichkeiten so groß wie noch nie, weil die Infrastruktur in einer nie dagewesenen Weise ausgebaut sei, aber, so konstatiert der Journalist für den Soziologen, das Bewusstsein hänge hinterher. Die Gegenkräfte seien so schwach, dass mehr als ein bisschen unkoordinierter Protest nicht zu erwarten sei. Hier setzt der Soziologe wieder ein und leitet seine Kehrtwende ein. Der Fortschritt der Globalisierung der Märkte und der politischen Strukturen sei nur auf dem Boden des Nationalstaates zu bekämpfen, weil unsere demokratischen Rechte allein auf dieser Ebene institutionalisiert seien. Mit dieser zutreffenden Feststellung benennt er die politische Grundlage für die Ausbreitung explizit neonationalistischer Bewegungen und Parteien, sowie ebensolcher Tendenzen innerhalb auch der Linken in ganz Europa. Die soziale und ökonomische, so könnte man ihn ergänzen, ergibt sich daraus, dass die sozialen Sicherungssysteme ebenfalls nur nationalstaatlich institutionalisiert sind. Aber statt vor den Gefahren dieses Neonationalismus zu warnen, weil das vermeintliche Ende des Kapitalismus, so wie wir ihn derzeit erleben, ihm von einer Art neuem Faschismus bereitet werden könnte, wie man ihn z.B. in Ungarn bereits beobachten kann, empfiehlt er ihn nachgerade als „zweitbeste Lösung“, solange keine gute da ist. Der einleuchtende politische Erklärungsansatz für das Wiedererstarken nationalistischer Strömungen gerät ihm zuerst zu ihrer Rechtfertigung und schließlich gar zur Propaganda für sie. Der Journalist spricht es für ihn aus: „Das heißt, um in Ihren Worten zu sprechen: Das nationale Staatsvolk muss sich ermächtigen, ermutigen, um seine Politiker nachdrücklich aufzufordern, gegen das internationale Marktvolk der Kapitalisten sich dann doch noch ein paar Regeln der Institutionen, Neuinstitutionen auszudenken.“ Antwort des Soziologen: „Ja.“ Er scheint zwar bei dieser Antwort an die Demonstrationen von Blockupy gegen die EZB in Frankfurt zu denken, aber trotzdem dürfen sich auch die Organisatoren und Anhänger von Pegida freuen, mit solchen Formulierungen Unterstützung von so prominenter Seite zu erfahren. Und mit seiner Bestätigung zeigt Herr Streeck deutlich mehr als nur ein wenig Verständnis für die Sorgen und Nöte derer, die jeden Montag in Dresden auf die Straße gehen und „Wir sind das Volk!“ rufen. Herrn Streeck zufolge gehören sie zu den wenigen derzeit erkennbaren Kräften, die zerstörerische Dynamik des Kapitalismus aufzuhalten.

Und wie reagiert der Journalist darauf? Sonderbarer Weise tut er nun nicht, was seine Aufgabe wäre. Denn er hakt nicht an dieser Stelle ein und weist den Soziologen darauf hin, wie wenig seine Schlussfolgerung zu seinen vorherigen Ausführungen passt. Weder fragt er ihn, was für ein Ende er dem Kapitalismus denn nun prognostiziere. Wird er zusammenbrechen, weil seine Dynamik stagniert oder weil er überdreht? Oder wird ihm politisch ein Ende bereitet? Was wird ihm nachfolgen und inwiefern wird das, was auf ihn folgt, kein Kapitalismus mehr sein? Noch macht er den Soziologen darauf aufmerksam, dass er noch wenige Minuten zuvor hervorhob, dass die Arbeiterbewegung gegenüber dem international agierenden Kapital chancenlos in die Defensive geriet, weil sie sich nur auf nationaler Ebene organisierte. Wieso sollte man angesichts dessen ausgerechnet auf die nationale Karte setzen? Das aber ist die zentrale Frage, die der Journalist hätte stellen müssen, hätte er seiner Informationspflicht genügen wollen. Denn dieser offensichtliche Widerspruch in der Argumentation des Soziologen muss zumindest den nicht mit seinen Schriften vertrauten Hörer irritieren. Denn hätte der nicht stattdessen messerscharf schließen müssen, dass der Kapitalismus eben kein eigenes Ende findet, sondern überwunden werden muss, und zwar durch eine sich transnational organisierende Linke?

Was sich da andeutet, sind fließende Übergänge zwischen linken und rechten Argumentationslinien, die ihre Einheit finden in einem puren, reflexionslosen und ressentimentgeladenen, weil perspektivlosen Antikapitalismus, der statt auf ein Ende des Kapitalismus, auf seine Aufhebung auf der Basis des Kapitalismus hinausläuft. Es wäre nicht das erste Mal, dass einerseits Linke ihr Heil in einem nationalen Sozialismus, der der Sache nach ein nationaler Kapitalimus ist, suchen, andrerseits Rechte, wenn sie Angst bekommen, dass dem Kapitalismus die Puste ausgehen könnte, sich der wissenschaftlichen Erkenntnisse seiner Kritiker bedienen, selbst im Kleide von Antikapitalisten auftreten und so auch Attraktivität für zumindest einige unter ihren erbittersten Gegnern entfalten. Bereits Strasser und Konsorten, die den linken, gewissermaßen den Arbeiterbewegungsflügel der frühen NSDAP bildeten, die nicht umsonst das Wort „sozialistisch“ im Namen trug, argumentierten ganz ähnlich. Das müsste doch auch dem Soziologen bewusst sein, der sich so entschieden für eine historische Betrachtung sozialer Verhältnisse ausspricht. Ihm scheint jedoch nicht aufzufallen, wie seine Beschäftigung mit dem Ende des Kapitalismus in eine Spekulation über eine mögliche Rettung des Kapitalismus übergeht, deren Preis, wenn sie denn den Neonationalisten gelänge, eben jene demokratischen Grundrechte sein dürften, die immer noch nur national institutionalisiert sind, und die Herr Streeck nicht einem europäischen Parlament überantwortet sehen, sondern dazu nutzen will, die Politiker unter Druck zu setzen, sich stärker für die Belange und Wünsche auch eines rassistischen Straßenpöbels einzusetzen.

Zwar sieht der Journalist genau diese Möglichkeit, denn er ergänzt unmittelbar: „Und bis dahin ist der Nationalstaat inklusive des Neonationalismus von rechts oder von links, sagen Sie, die zweitbeste Lösung, so lange keine gute da ist?“, aber statt ihn damit zu konfrontieren, dass diese „Lösung“ eher als eine Gefahr zu betrachten ist, setzt der Journalist noch eins drauf. Seine Mimesis an den Gesprächspartner, dem er sich das gesamte Interview über als reiner Stichwortgeber zur Verfügung stellt, erweist sich nicht als eine kluge Strategie, den so weit zu bringen, dass er die Katze aus dem Sack lässt, sondern sie reißt den Journalisten schließlich mit: „Kann es sein, dass das produktive Kapital, dessen Loblied Karl Marx gesungen hat vor mehr als 150 Jahren, dass das produktive Kapital, das produzierende Kapital irgendwann auch mal begreift und kräftig zum Ausdruck bringt, dass die finanzkapitalistische Decke, die über allem liegt und die Profite erfordert, die das System einfach nicht mehr hergibt, dass die sozusagen möglicherweise die stärkste Kraft einer Reform sein können, wenn die Politiker das begreifen? Könnte es da zu einer neuen Allianz kommen, die stärker ist als die schwach gewordene Arbeiterbewegung?“ Es ist ganz egal, ob der Journalist auch hier wieder nur wiedergibt, was er sich in den Büchern des Soziologen angelesen hat, oder ob seine eigene Phantasie mit im durchgeht. Beide sind sich völlig einig. Herr Streeck fände es schön, wenn es so käme, und der Journalist bedankt sich am Ende des Interviews für diesen „Lichtblick“.

Es tritt nun in aller Deutlichkeit hervor, welches Ende des Kapitalismus´ Soziologe und Journalist fürchten. Die finanzkapitalistische Decke, unter der das produktive Kapital bisher gute Gewinne machen konnte, wird einstürzen und auch letzteres unter sich begraben. Um das zu verhindern und den Kapitalismus doch noch zu retten, müsste sich allerdings das gute schaffende Kapital auf seine Tugenden besinnen und das böse oder zumindest ruinöse raffende Kapital in seine Schranken weisen. Aber wie sollte ihm das gelingen? Der einzige Lichtblick, den beide in der derzeitigen Finsternis auszumachen können meinen, wäre eine Allianz zwischen einem bodenständigen produktiven Kapital, einer die sozialen Interessen seiner Bevölkerung wahrnehmenden politischen Führung und einem national gesinnten Staatsvolk. An die Stelle der Konzepte von Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft der Arbeiterbewegung, die sich nunmal aufgebraucht haben, könnte eine durch Druck von der Straße zur Fürsorglichkeit für die eigene Bevölkerung gezwungene Politik treten, unterstützt von einem produktiven Kapital, dessen Vertreter begriffen hätten, dass der losgelassene liberale Kapitalismus nicht überlebensfähig ist und sie sich deshalb lieber ein wenig in wohldosierter Selbstbeschränkung üben sollten. Dann könnten wieder ähnlich goldene Zeiten langandauernder Prosperiät anbrechen wie nach dem Kriege. Denn auch die Interessen der Arbeiter, deren Organisationen leider zu schwach sind, um sie in angemessener Weise geltend zu machen, würden Berücksichtigung finden und zwar als Teil des großen Ganzen. Dazu müssten die Betriebsleiter nur im wohlverstandenen eigenen Interesse sich ihrer nationalen Verantwortung bewusst werden und auch im Sinne ihrer Arbeiterschaft die für die Erhaltung von Betrieb und Arbeitsplätzen richtigen Entscheidungen treffen. Man kann dies als ein Ende des derzeitigen neoliberalen Kapitalismus, das keineswegs mit dem Ende des Kapitalismus überhaupt zu identifizieren wäre, begreifen, und zwar als eines, auf das er kraft seiner eigenen Dynamik zutreibt. Dazu muss man nur den „subjektiven Faktor“ nicht als etwas äußerlich Hinzutretendes, sondern als Moment eben dieser Dynamik auffassen. Die Drohung des sozialen Abstiegs und der Verelendung bringt nicht aus sich heraus mit Notwendigkeit ein klassenbewusstes, zur Revolution bereites und fähiges Proletariat, sondern eher einen für Rassismus anfälligen Straßenmob hervor, der sich, wenn überhaupt, lediglich zu einer modernen Form der Volksgemeinschaft zusammenschließen lässt. Was daran schön wäre, muss das Geheimnis von Herrn Streeck und Herrn Greffarth bleiben. Aber immerhin schließt sich so der Kreis und der Hörer versteht nun endlich, wie eine solche Sendung Eingang finden konnte ins Programm des Deutschlandfunks.

Er muss jedoch nicht enttäuscht sein, denn die Sendung gibt ihm doch Einblicke nicht nur in die Geisteshaltung des Intellektuellen und des Journalisten, sondern das Gesagte enthält auch Hinweise darauf, wie die aktuelle politische Situation einzuschätzen ist. Dazu muss man es aber interpretieren, weil beide, obwohl sie es zu tun vorgeben, alles andere als Klartext reden. Was dem angesichts des Lichtblicks am Ende nun aufmerksam gewordenen Hörer im Rückblick auffallen muss, ist die sonderbare Gewichtung der Lösungen, die präsentiert werden. Während die gute nur kurz und ganz vage angedeutet wird, nimmt die zweitbeste breiten Raum ein. Ein Wiedererstarken der Arbeiterbewegung scheint beiden derart unwahrscheinlich, dass sie diese Möglichkeit kaum eines Wortes würdigen. Und sie haben zweifellos recht damit, wenn die Lösung für die Probleme, die die Dynamik der kapitalistischen Produktionsweise generiert, allein darin bestehen kann, auf irgendeine Art und Weise, den neoliberalen Kapitalismus zu domestizieren, statt den Kapitalismus als solchen abzuschaffen. Die Grenze ihres Antikapitalismus und vielleicht jeden puren Antikapitalismus bildet der Kapitalismus selbst. Über diese Grenze hinauszudenken, wagen weder der Soziologe, noch der Journalist. Obwohl Herr Streeck in aller Ausführlichkeit darlegt, dass die fordistische Nachkriegsära eine historische Ausnahme darstellt, die, als Paradigma zu verstehen, auf soziologische Abwege führt, macht er exakt den gleichen Fehler wie die von ihm dafür gescholtenen Organisationen der Arbeiterbewegung. Da muss man es geradezu folgerichtig nennen, wenn ihm nicht einmal in den Sinn kommt, dass deren Nachkommen aus diesem Fehler lernen könnten; dass sie aufhören könnten, dieser Phase als dem Mekka vermeintlich geordneter sozialer Verhältnisse nachzuweinen; dass sie wie er begreifen könnten, dass die Arbeiterbewegung mit ihrer unseligen Paktiererei mit dem Kapital während dieser Periode ihren Teil zur Herausbildung eines neoliberalen Kapitalismus beigetragen hat und sich und ihre Ziele überdies damit mindestens ebenso schwer diskrediert hat wie mit dem realsozialistischen Großversuch auf der anderen Seite des eisernen Vorhangs; dass sie endlich davon Abstand nehmen könnten, dieses Modell als ein Zukunftsmodell zu propagieren; dass sie sich nicht länger damit zufrieden geben könnten, sich mit ein wenig Mitbestimmung abspeisen zu lassen, sondern stattdessen auf die Idee kommen könnten, dass sie die Dinge selbst in die Hand nehmen müssen; dass sie einsehen, dass es nicht lohnt, für ein paar Brosamen, die für sie abfallen könnten, weiter mit dem Kapitalismus zu kollaborieren; dass sie einen Antikapitalismus entwickeln könnten, der nicht auf eine wie auch immer geartete Rettung des Kapitalismus spekuliert und der nicht die für jeden wirklichen Antikapitalismus entscheidende Frage nach der Aufhebung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse mit allen Mitteln zu umgehen sucht, sondern sie endlich auf die gesellschaftliche Tagesordnung setzt; und dass sie, um diese Frage auch praktisch zu beantworten, sich transnational organisieren könnten, um ihm endlich sein Ende zu bereiten.

Soziologe und Journalist bieten das beste Anschauungsmaterial dafür, wozu Linke, die diesem Gedanken nicht mehr nachgehen, kraft der eigenen Analyse getrieben werden. Zugleich überzeugt davon, dass der Kapitalismus als Produkt der Geschichte ein Ende nehmen muss, und desillusioniert davon, dass er es immer noch nicht genommen hat, weil der Arbeiterbewegung bisher nicht gelang, was sie von ihr erwarteten, beginnen sie, ihre Zuflucht im Nationalstaat zu suchen. Darin besteht aber die wirkliche Gefahr des Neonationalismus. Aus ihren Extremen könnte sich eine neue Mitte formieren, deren Kitt ein Antikapitalismus bildet, der, so paradox es klingen mag, einem nationalen Kapitalismus zur passenden Ideologie dienen könnte. So übergehen beide, der Soziologe wie der Journalist, großzügig nicht nur jegliche Ansätze zu einer transnationalen Neuformierung der Linken in den realen Protesten, schlimmer noch, sie vermengen sie mit den nationalen Bestrebungen, die ihnen denn doch näher zu liegen scheinen. Niemand will leugnen, dass die politische Gemengelage recht unübersichtlich ist, aber wäre es nicht gerade dann die Aufgabe von Intellektuellen und Journalisten die Unterschiede deutlich zu machen und die Gründe jener Unübersichtlichkeit genauer zu untersuchen? Da sie das unterlassen, werden ihre Aussagen zu Aussagen über sich selbst, über die Hilflosigkeit von Intellektuellen und Journalisten, die, wenn sie keinen Ausweg für die kapitalistische Produktionsweise mehr sehen, faschistischen Varianten zur Bewältigung die Gesamtgesellschaft bedrohender Krisen denn doch den Vorzug geben vor jedweder Art von Sozialismus.

Aber auch diese „Lösung“ hält der Soziologe für unwahrscheinlich. Historisch gebildet wie er ist, weiß er, dass es dafür der tatkräftigen Unterstützung mächtiger Kapitalfraktionen bedürfte. Ohne eine solche Unterstützung vor allem aus den Reihen der Schwerindustrie, die auf das Aufrüstungsprogramm der Nazis rechnete, um aus dem ökonomischen Schlamassel herauszukommen, in den sie angesichts immenser Überkapazitäten die Weltwirtschaftskrise gestürzt hatte, wäre Hitler wohl kaum an die Macht gekommen, bzw. wenn doch, hätte er sich dort trotz aller Gefolgschaft auf Seiten der Bevölkerung nicht lange halten können. Der Soziologe weiß im Gegensatz zum Journalisten deswegen auch, dass das pauschale Gerede vom produktiven Kapital, das im Konflikt mit dem Finanzkapital stehen und deshalb den Neonationalen beispringen soll, nicht weiterhilft, wenn es darum geht, die konkreten Möglichkeiten einer bestimmten historischen Konstellation auszuloten. Dazu bedarf es schon einer genaueren Analyse der ökonomischen Verhältnisse, die der bei den Nazis so beliebten Propaganda vom Gegensatz zwischen schaffendem und raffendem Kapital zugrundeliegen, die im Zuge der Finanzkrise in allen politischen Lagern wieder ihre Erfolge feiert. Da Herr Streeck in dem Gespräch sie aber auch nicht ausführt, sei sie hier eingeschoben.

Das Kapital ist Marx zufolge, der wohl im Grabe rotierte, wenn er wüsste, dass man ihn inzwischen zum Lobsänger des produktiven Kapitals erhebt, ein prozessierender Widerspruch. Ein Widerspruch ist es, weil jedes Kapital eine Wertsumme sein soll, die größer als sie selbst ist. Die abstrakteste Formel dafür ist die des Bankkapitals, nämlich dass verliehenes Geld mehr Geld erzeugen, einen Zins abwerfen soll. Vielleicht ist es der Tatsache geschuldet, dass beim Zins der Widerspruch so deutlich hervortritt, dass alle so gerne aufs Finanzkapital einhauen.

Weil es sich aber um einen Widerspruch handelt, muss man, um überhaupt begreifen zu können, wie so etwas überhaupt existieren können soll, das Kapital als Prozess denken. Das bringt den Widerspruch nicht zum Verschwinden. Er bestimmt unsere Wirtschaftsform und bringt all die absurden Phänomene und eben jene selbstdestruktiven Tendenzen hervor, die der Soziologe beklagt. Aber die Betrachtung seiner Verlaufsform ermöglicht es, den inkonsistenten Gegenstand, das Kapital, in einer konsistenten, weil kritischen Theorie zu erfassen.

In seinem Prozess, der der Prozess seiner Selbstverwertung ist, macht dasselbe Kapital verschiedene Metamorphosen durch, mal nimmt es die Form der Ware an, mal die des Geldes. Allerdings wird nur im kapitalistischen Produktionsprozess, dort wo es in Form von Produktionsmitteln dazu verwendet wird, den auf dem Arbeitsmarkt eingekauften Arbeitskräften, die dann ebenfalls temporär einen seiner Bestandteile darstellen, Mehrarbeit auszupressen, mit dem Mehrwert die Substanz jeder Art von Profit produziert, sei es nun der des Unternehmers direkt, oder der des Kaufmanns oder der des Bankiers. Trotzdem muss das Kapital alle Metamorphosen durchlaufen, muss aus produktivem Kapital zu Warenkapital und aus diesem zu Geldkapital werden, um sich zu verwerten. Die Produktionsbedingungen müssen als Waren eingekauft werden können, im Produktionsprozess werden sie kombiniert und bringen Produkte hervor, die auf dem Warenmarkt wieder verkauft werden müssen und dadurch zu Geld werden, mit dem dann wieder neue und mehr Produktionsmittel und Arbeitskräfte allokiert werden, wie die Ökonomen das nennen. Es ist deshalb kompletter Nonsens das böse Finanzkapital dem guten produktiven Kapital gegenüberzustellen. Die Banken erfüllen eine absolut notwendige Funktion im erweiterten Reproduktionsprozess des Kapitals und die Profite, die dort eingestrichen werden, werden mittels Anwendung sogenannten produktiven Kapitals erzeugt.

Aber wenn auch Unternehmer, Händler und Bankiers hinsichtlich des Verwertungsprozesses aufeinander angewiesen sind, so übernehmen sie doch im arbeitsteiligen System verschiedene Funktionen, was für den Prozess insgesamt erhebliche Rationalisierungsvorteile bedeutet. Als verschiedene Kapitalien bzw. Kapitalbranchen stehen sie dabei allerdings zueinander im Verhältnis der Konkurrenz, ihre Vertreter bilden verschiedene Kapitalfraktionen, die miteinander um ihre Anteile am im Produktionsprozess erzeugten Mehrwert kämpfen. Und während die Aufteilung des Profits zwischen produktivem Kapital und Warenhandlungskapital gewissen Gesetzmäßigkeiten der Verteilung unterliegt, wird das Verhältnis von Unternehmergewinn und Zins allein durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Der Konkurrenzkampf zwischen produktivem Kapital und Finanzkapital ist demensprechend besonders hart.

Darüber hinaus bestehen selbstverständlich auch Gegensätze innerhalb der jeweiligen Branchen, z.B. aufgrund der Größe der jeweiligen Kapitale, die entscheidend dafür ist, wie groß der Anteil des gesamtgesellschaftlich produzierten Mehrwerts ist, der jedem in Form von Profiten zufällt. So ist überdies das sogenannte Großkapital, das längst international tätig und mit eigenen Produktionsstätten in verschiedenen Ländern vor Ort präsent ist, in der Lage, die Verschiedenheit der nationalen Profitraten und der Steuergesetzgebungen in ganz anderer Weise auszunutzen, und ist mit dem internationalen Finanzkapital viel enger verflochten und in viel stärkerem Maße auf eine möglichst freie Fluktuation der Finanz- bzw. Kapitalströme angewiesen, als es der jeweilige Mittelstand sein dürfte. Der ist zwar vom Großkapital und längst auch vom Weltmarkt abhängig, jedoch zumeist nur in einem bestimmten Land ansässig und dementsprechend in seinen Aktions- und Ausweichmöglichkeiten beschränkt.

Macht man sich die Existenz solcher grundsätzlich möglicher Konfliktlinien zwischen den Vertretern des produktiven Kapitals und des Finanzkapitals einerseits, andrerseits innerhalb der verschiedenen Fraktionen des produktiven Kapitals bewusst, lässt sich konstruieren, warum Herr Streeck sofort an den Mittelstand denkt, wenn ihm der Journalist das Stichwort „produktives Kapital“ gibt. Dass der nationalistische Antikapitalismus, auf den die beiden setzen, dergestalt auch in der Scientific Community reüssiert, wie es derzeit der Fall ist, und mittels eines zentralen Informationssenders öffentlich verbreitet wird, lässt erahnen, welcher Unmut in mittelständischen Kreisen inzwischen über die Bankenrettung herrscht, die von den Staaten der EU seit Jahren forciert wird. Die machte aus der Bankenkrise eine Staatsschuldenkrise, die faulen Kredite und Papiere, die zuvor bei den Banken lagen, wurden sozialisiert und die einzelnen Nationen müssen nun dafür gerade stehen. Gerade das Beispiel Griechenlands zeigt, dass man die so übernommenen Lasten nicht ewig der Bevölkerung aufhalsen kann, weil die dann irgendwann auf die Idee kommt, sich zu wehren, und solange sie das noch im Rahmen des vorherrschenden repräsentativen politischen Systems tut, linke Parteien zu wählen, die seit jeher dafür sind, das nötige Geld bei jenen einzusammeln, die an der Globalisierung und einem mit Schulden finanzierten Wachstum gut verdient haben. Wie man allerdings ebenfalls am Beispiel Griechenlands sieht, haben die Nationalstaaten wenig Möglichkeiten der international agierenden Unternehmen und ihrer Manager habhaft zu werden und sie haftbar zu machen. Anders verhält es sich mit dem Mittelstand. In Griechenland dürfte zwar auch bei dem nicht mehr viel zu holen sein, sehr wohl aber bei den Unternehmen, die in der BRD ansässig sind.

Es sind zwar auch deren Probleme, lohnenswerte Anlagemöglichkeiten zu finden, die die Banken für sie lösen müssen, aber das vergessen sie gerne, wenn es darum geht, einen Sündenbock zu präsentieren. Die Unternehmen, die kleinen wie die großen, vor allem jedoch die global player, die eine ganze Zeitlang wieder satte Gewinne verzeichnen konnten, sind inzwischen derart liquide, dass sie keine Kredite mehr brauchen. Vielmehr wissen sie gar nicht, wo sie mit ihren Profiten hinsollen. Also geben sie sie wieder den Banken, die genauso wenig wissen, was sie damit tun sollen. Nachdem ihre Kreativität in Bezug auf die Erfindung spekulativer Papiere nicht mehr ganz so gefragt ist und auch ihre Praxis einer recht lockeren Kreditvergabe eingeschränkt wurde, fangen sie jetzt sogar an, für geparktes Geld negative Zinsen zu erheben. Der Zins ist jedoch für alle Arten von Kapitalisten das Maß für die Verwertungsrate des Kapitals an sich. Wenn die unter Null sinkt, schrillen allenthalben die Alarmglocken, denn das heißt für sie, dass sich das Kapital in seinem normalen Prozess nicht ver- sondern entwertet. Der Ausweg, den die Geldflüsse nun nehmen, scheint derzeit der Aktienmarkt zu sein. Hier werden die Eigentumstitel der Unternehmen gehandelt. Deren Preis steigt ständig und hier findet sich – apropos es gäbe keine Inflation – auch das Geld wieder, das die Zentralbanken drucken. Damit erhöht sich die Bewertung der Unternehmen – und die Banken schneiden dabei eher schlecht ab –, ohne dass dem Investitionen und Produktionsausweitungen in einem entsprechenden Maß korrespondieren. Wenn in einem viertel Jahr der DAX um 25% steigt, während das Wirtschaftswachstum insgesamt für 2015 auf unter 2% geschätzt wird, spricht das Bände. Es ist wohl das, was mit der Rede von der Abkopplung der Finanzwirtschaft von der Realwirtschaft gemeint ist. Aber diese Abkopplung ist dann eben die Art und Weise, wie eine trotz hoher Profite in einzelnen Bereichen und bei aller sich ständig erhöhenden Dynamik tendenziell stagnative Wirtschaft weiter am Laufen gehalten wird. Wenn nun absehbarer Weise die finanzkapitalistische Decke nicht mehr hält, geht wie in jeder Krise das Hauen und Stechen los, jeder muss dann versuchen die Verluste auf andere abzuwälzen. Es wird zu einer Reinigung des Marktes kommen, wie das so schön im Ökonomendeutsch heißt, und die Großen, die sowieso „to big to fail“ sind, werden die Kleinen, also auch einen guten Teil des deutschen Mittelstandes fressen.

Was dessen Vertreter also offenbar nun auf die antikapitalistischen Barrikaden treibt und sie dazu bringt, reihenweise von der neoliberalen FDP zur AFD zu wechseln, ist die nicht ganz unbegründete Furcht davor, dass sie die Zeche bezahlen müssen, wenn sich das ständige Reformieren irgendwann totläuft und tatsächlich zur Kasse gebeten wird. Das gesamte Gedankengebäude des nationalen Antikapitalismus mit seiner unsäglichen Idenfizierung von Kapitalismus mit Finanzkapitalismus erweist sich dergestalt nicht nur als Bindeglied zwischen links und rechts, sondern überdies als die zeitgemäße Ideologie eines Mittelstandes, der noch vor kurzer Zeit verblendet von den Profiterwartungen, die auch ihm die Globalisierung und die Deregulierung der Märkte, vor allem des Arbeitsmarktes, in Aussicht stellte, jetzt erkennen muss, dass er im sich zuspitzenden Konflikt zwischen Kapital und Arbeit, genauer zwischen Großkapital und den Bevölkerungen der Länder, die es auspresst, zerrieben zu werden droht. Zwar ist es genau wie bei der Arbeiterbewegung seine Verankerung in einer nationalen politischen Struktur, die ihm bei aller allgemeinen Tendenz des Kapitals zu Zentralisation und Konzentration besondere Probleme bereitet, aber da er wirtschaftlich nicht in der Lage ist, die nationalen Grenzen zu überschreiten, befindet er sich in einer Zwangslage, aus der ihn auch sein Aufruf zum letzten Gefecht nicht befreien wird. Denn anders als die Arbeiterbewegung, die es führen wollte, um allen Kämpfen ein Ende zu bereiten und die Gesellschaft so einzurichten, dass kein Kampf mehr nötig sein würde, ist der Antikapitalismus des Mittelstandes die verzweifelte Propaganda derer, die ihrem Untergang entgegensehen. Herr Streeck deutet es an: „Das einzige Problem ist: In dem Land, worauf es ankommt, in Amerika, ist diese Schicht von Unternehmen praktisch verschwunden. Bei uns ja, und Sie hören von den Mittelständlern sozusagen immer wieder, dass ihnen diese Welt des Kaufens und Verkaufens von Unternehmen, des sozusagen Rausnehmens von Kapital aus Unternehmen, dass ihnen diese Welt fremd und unangenehm ist. Aber diese Art von Unternehmen gibt es in den Vereinigten Staaten nicht mehr, und die können sich da auch gar nicht bemerkbar machen.“ Mit der „zweitbesten Lösung“ ist es also, zum Glück muss man sagen, auch nicht weit her. Denn der heutige Exportweltmeister Deutschland kann es sich, anders als zu Hitlers Zeiten, auch nicht temporär leisten, einen deutschen Sonderweg einzuschlagen, und in den USA, die immer noch die erste Geige spielen, ist der Mittelstand bereits so ausgedünnt, dass eine nationale Lösung dort nicht ansteht. Dass also, wie erhofft, nationale Allianzen allenthalben tatsächlich die Oberhand gewinnen, gegen das internationale Großkapital anstinken und die Globalisierungstendenz brechen könnten, ist keine realistische Annahme. Im Vergleich zu dieser Alternative erweist sich Frau Merkels Nationalismus, der darauf setzt, vermittels beständiger Steigerung internationaler Wettbewerbsfähigkeit an der Ausbeutung weltweit zu partizipieren, die zu ganz anderen Bedingungen vor sich geht als hierzulande, immer noch als vorteilhafter als, auf Teufel komm raus, das eigene Wahlvolk auszupressen. Was bleibt aber, wenn dem Intellektuellen die gute Lösung im Laufe der Geschichte abhanden gekommen ist, die zweitbeste als unrealistisch einzuschätzen ist, aber er zugleich zutiefst davon überzeugt ist, dass es mit der herrschenden alternativlosen Realität nicht so weitergehen kann?

Der antikapitalistische Intellektuelle verfällt in Weltuntergangsstimmung. Es ist dabei gar nicht wichtig, ob die Untergangsstimmung, die sich da breit macht, sich eher ideologischer Verblendung verdankt als realen Tendenzen. Entscheidend ist hier die Performance der Propaganda, also wie sehr an die Apokalypse des Kapitalismus geglaubt wird. Dass eine Allianz zwischen Intellektuellen und Linken, die einem nationalen Kapitalismus das Wort reden, und der AFD, und zwischen dieser mittelständisch geprägten Protestpartei und den nach allen bekannten Studien stets für alle Spielarten des Nationalismus und Rassismus anfälligen sogenannten Mittelschichten, die immer Angst vor dem sozialen Abstieg haben, möglich ist, wird nach Pegida niemand mehr ernsthaft bestreiten wollen. Auch wenn solche Allianzen noch brüchig sind, und auch wenn sie ihre eigentlichen Ziele nicht erreichen, sie prägen die Atmosphäre im Land, auch ohne dass es zu der Installation eines faschistisches Regime kommen muss. Gerade weil sie die nächste Rezession nicht werden verhindern können, droht von ihnen die eigentliche Gefahr, wenn sie tatsächlich einsetzt. Denn wer sich an die Wand gedrückt sieht, neigt dazu, unkontrolliert um sich zu schlagen. Nur ein Ende des Kapitalismus könnte den Fortschritt der Barbarei aufhalten.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Gesellschaft, Journaille, Kapitalismus und getaggt als , , , , . Fügen Sie den permalink zu Ihren Favoriten hinzu.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

1 × 4 =