Flüchtlingsbekämpfung

Die political correctness treibt schon seltsame Stilblüten. Das sagt die Kanzlerin ausnahmsweise einmal ehrlich, direkt und unverblümt, was Inhalt und Ziel ihrer Politik ist, und dann wird sie ausgerechnet dafür zurechtgewiesen.

Flüchtlingsbekämpfung“ kam 2009 auf Platz 2 der Liste der Unworte des Jahres. Die Jury der sprachkritischen Aktion der Gesellschaft für deutsche Sprache unter Vorsitz von Herrn Prof. Horst Dieter Schlosser rügte die Wortwahl der Kanzlerin bei einem Vortrag für die Bertelsmannstiftung: „Es ist zu hoffen, dass damit nicht tatsächlich militärische Aktionen gemeint sind. In jedem Fall ist die Gleichsetzung einer Menschengruppe mit einem negativen und deshalb zu bekämpfenden Sachverhalt – wie in ‚Krankheits-‘, ‚Seuchen-‘, oder ‚Terrorismusbekämpfung‘ – ein dramatischer sprachlicher Fehlgriff“ (zitiert nach: http://www.muk.uni-frankfurt.de/38673773/008; Stand: 06.10.2014). Es fragt sich allerdings, wer da sprachlich danebengreift. Schon die Diktion ist die eines schlechten Schüleraufsatzes. Die Wertung, die in dem Wort stecke, wird mit dem Pauschaladjektiv „negativ“ bezeichnet. Was genau als negativ betrachtet wird, inwiefern es negativ beurteilt wird, all das wird weder beschrieben, noch erläutert, noch gar erklärt – jedenfalls nicht in den Presseberichten. Stattdessen behilft man sich mit Beispielen. Es ist die Sprache der Journaille, die unpräzise darauf spekuliert, dass der Leser schon wisse, was gemeint sei und sich seinen Reim darauf macht. Sie dient nicht der Erkenntnis, sondern lässt vor allem die moralische Empörung darüber hervortreten, dass hilfebedürftige Menschen mit etwas Negativem in Verbindung gebracht werden.

Also müssen wir uns selbst auf die Suche nach dem machen, was mit diesen allgemeinen, im schlechten Sinne abstrakten Phrasen gemeint sein könnte. Da irritiert zunächst, dass ja wohl eine Flucht schwerlich als ein „positiver Sachverhalt“ betrachtet werden kann. Wenigstens diejenigen, die flüchten müssen, werden sie kaum als solchen ansehen. Was unterscheidet sie also von den genannten Beispielen Krankheiten, Seuchen und Terrorismus? Die darf man anscheinend bekämpfen. Und Kampf wird hier ganz wörtlich verstanden, denn er besteht darin, dass bei Krankheiten und Seuchen die Erreger und, so lässt sich folgern, beim Terrorismus die Terroristen abgetötet werden. Darin, die Menschengruppe der Terroristen mit dem „negativen Sachverhalt“ des Terrorismus gleichzusetzen, gar sie in eine Reihe mit Krankheitserregern zu stellen und sie damit zur Liquidation freizugeben, sehen die Sprachwissenschaftler offenbar kein moralisches Problem. Durch ein „oder“ in einer Aufzählung sprechen sie kurzerhand der Menschengruppe Terroristen die Menschenrechte ab. So wirkmächtig auf Sprache und Denken zeigen sich nicht nur die politische Propaganda von Bush und Konsorten, sondern vor allem die praktischen Maßnahmen, die sie ergriffen. Seit der Einrichtung von Guantanamo sind Terroristen Freiwild.

Das gilt selbstverständlich nicht für Flüchtlinge, jedenfalls nicht aus Sicht der Pseudomenschenrechtler der Gesellschaft für deutsche Sprache. Man darf mutmaßen, dass sie sich diesbezüglich darauf berufen können, dass ja Flüchtlinge anders als Terroristen uns nicht bekämpfen, wir uns also nicht in einer Verteidigungsposition befinden, die es uns gestattet, von unserem Notwehrrecht Gebrauch zu machen. Das gilt aber auch von Krankheitserregern. Bakterien und Viren wissen nichts von mir, sie versuchen zu überleben und fressen mich vielleicht von innen heraus auf, aber sie kämpfen nicht gegen mich. Es fehlt ihnen die Intentionalität, ohne die es keinen Kampf gibt. Umgekehrt ist ja auch für mich der Metzger nicht ein Soldat, weil er Rinder umbringt, damit ich mein Steak zum Mittagessen bekomme.

Anders als die Sprachwissenschaftler wusste der große Naturforscher Charles Darwin noch, dass sein „Kampf ums Dasein“ eine Metapher ist. So heißt es in seinem Buch „Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl“: „Es sei vorausgeschickt, dass ich die Bezeichnung ‚Kampf ums Dasein‘ in einem weiten metaphorischen Sinn gebrauche, der die Abhängigkeit der Wesen voneinander, und was noch wichtiger ist: nicht nur das Leben des Individuums, sondern auch seine Fähigkeit, Nachkommen zu hinterlassen, mit einschließt. Mit Recht kann man sagen, dass zwei hundeartige Raubtiere in Zeiten des Mangels um Nahrung und Dasein kämpfen; aber man kann auch sagen, eine Pflanze kämpfe am Rande der Wüste mit der Dürre ums Dasein, obwohl man das ebensogut so ausdrücken könnte: sie hängt von der Feuchtigkeit ab.“

Man sieht, man kann sich drehen und wenden, wie man will, die Begründung für die Wahl des Unwortes „Flüchtlingsbekämpfung“ gibt gerade in dem Teil, in dem wenigstens durch Beispiele in sichtbarlich hilfloser Weise versucht wird, die Entscheidung zu erläutern, mehr Rätsel auf, als sie löst. Das mag daran liegen, dass die Sprachforscher sich um den eigentlich problematischen Wortteil des Kompositums „Flüchtlingsbekämpfung“, nämlich die „Bekämpfung“, überhaupt nicht bekümmern. So tief ist die Metapher „Kampf“ in die Alltagssprache herabgesunken, dass nicht mehr, wie es Darwin noch tat, zwischen der wörtlichen und der übertragenen Bedeutung des Wortes „Kampf“, zu dem sie inzwischen wieder geworden ist, unterschieden wird.

Der Werdegang des Wortes ist aber auch außerordentlich komplex. Zunächst bezeichnet es die wirklich handgreifliche Auseinandersetzung zwischen Menschen. Das ist seine wörtliche Bedeutung. Es nimmt bereits in diesem gewissermaßen menschlichen Bereich, aus dem es ursprünglich stammt, eine übertragene Bedeutung an, sofern man es auf Verhältnisse zwischen Menschen, die wie die wirtschaftliche Konkurrenz ruinös wirken, anwenden kann. Nach dem Vorbild solcher Verhältnisse spricht Darwin in vollem Bewusstsein der Metaphorik vom „Kampf ums Dasein“ auch in der Natur. Und dort, wo bis heute Menschen andere Lebewesen umbringen, weil sie sich von ihnen bedroht sehen, kann man sagen, dass sie gegen die Natur kämpfen, wenn man nicht vergisst, dass es sich dabei um eine sehr einseitge Angelegenheit handelt. Die Sozialdarwinisten schließlich übertragen die Metapher, die aus dem Wort entstanden ist, wieder zurück auf die Gesellschaft – mit fatalen Konsequenzen. Zum einen werden damit die gesellschaftlichen Verhältnissen naturalisiert und zementiert. Von der Konkurrenz als einem Kampf zwischen Menschen mit anderen Mitteln als Waffen zu reden oder sie, wie Hegel es tat, als geistiges Tierreich zu bezeichnen, verliert jede kritische Spitze. Aus der „kulturellen Errungenschaft“ des Menschen „Kampf“, die sich zur wenn auch nur rudimentär befriedeten Konkurrenz weiterentwickelt hat, wird eine unabänderliche Natureigenschaft. Damit wird aber zum anderen für den Menschen, der nicht nur daran erinnert wird, dass er auch Naturwesen ist, sondern der Natur ganz eingereiht wird, der Kampf zur Form seines Überlebens. Und da sind alle Mittel recht. Die Metapher regrediert wieder auf die wörtliche Bedeutung und die Konkurrenz muss nun zwischen nationalen oder rassistischen Kollektiven mit militärischen Mitteln ausgetragen werden.

Wer sich die Entwicklung der Worte nicht bewusst macht wie die Sprachwissenschaftler aus Frankfurt, der gerät da schon einmal durcheinander und setzt die Kontexte gleich, in dem das Wort seine je spezifische Bedeutung erfährt, und nennt natürliche, wie Krankheiten, und gesellschaftliche Bedrohungen, wie den Terrorismus, in einer Aufzählung. Oder er verwechselt die entsprechenden Bedeutungen selbst und behandelt den einseitigen Kampf gegen die Natur wie den metaphorischen Kampf in der Natur, und den wieder wie den wörtlichen oder metaphorischen Kampf unter Menschen.

Im alltäglichen Gebrauch des Wortes Kampf, dessen sich auch die Frankfurter Sprachkritiker befleißigen, bestehen zwischen seinen verschiedenen Bedeutungen fließende Übergänge, und einen dementsprechend weiten Sprachraum nimmt die wortgewordene Metapher bzw. das metaphorische Wort inzwischen ein. Der Kampf ist ubiquitär geworden. Schließlich ist ja alles irgendwie ein Kampf. Wenn das Gewerkschaftsmitglied sein Streikgeld abholt, kämpft es genauso wie der Fußballspieler auf dem Feld. Der Sozialdarwinismus hat sich derart im Bewusstsein festgefressen, dass uns unser ganzes Leben wie ein einziger großer „Kampf ums Dasein“ erscheint, der auf allen Ebenen geführt werden muss. Diese „Weltanschauung“ hat ihren durchaus sachlichen Grund in der Tatsache, dass wir auch nach der Katastrophe des zweiten Weltkrieges und der moralischen Ächtung des Sozialdarwinismus in gesellschaftlichen Verhältnissen fortvegetieren, die alles andere als befriedet sind. Und je weitere Kreise die Auffassung zieht, dass der Wettbewerb die allein seeligmachende Form unserer gesellschaftlichen Verhältnisse ist, in je mehr Bereiche des Lebens das Konkurrenzprinzip Einzug hält, desto berechtigter muss den Individuen diese „Weltanschauung“ erscheinen.

Ist die Kritik so weit vorangeschritten, dass die Grundlage des „dramatischen sprachlichen Fehlgriffs“ der Kanzlerin sichtbar wird, lässt sich dieser selbst vielleicht auch konstruieren. Der erste Schritt besteht darin, dass ein Attribut substantiiert wird. Aus flüchtenden Menschen werden dergestalt Flüchtlinge. Diese Menschen werden auf ein einziges Merkmal reduziert, nämlich das, auf der Flucht zu sein. Auf diesen sprachlichen Vorgang würde am ehesten die schwammige Formulierung der Gesellschaft für deutsche Sprache zutreffen, derzufolge die Kanzlerin eine Menschengruppe mit einem negativen Sachverhalt, den um sich greifenden Fluchtbewegungen in aller Welt, gleichsetze. Die Konstruktion ist damit aber erst bei den Flüchtlingen angekommen und damit bei nicht viel mehr als einer vielleicht unerfreulichen, aber dennoch im Sprachgebrauch immer wieder notwendigen Abstraktion. Die Reduktion offenbart indessen auch den interessierten politischen Blick, unter dem diese Menschen wahrgenommen werden. Der zweite Schritt der Konstruktion besteht also darin, ein wenig Empathie für unsere Kanzlerin aufzubringen und ihre Perspektive einzunehmen. Die Politikerin muss das gesellschaftliche Phänomen der weltweiten Fluchtbewegungen beschäftigen. Sie hätte deshalb eher von Flucht- als von Flüchtlingsbekämpfung sprechen sollen. Das wäre sicher political correct gewesen und darüber hätte sich die Jury auch nicht echauffiert. Denn darunter würde man verstehen, dass man die Gründe für die Flucht beseitigt, so wie man bei Terrorismusbekämpfung auch daran denken sollte, die Ursachen des Terrorismus aus der Welt zu schaffen und nicht die Terroristen – aber das nur nebenbei. Aber Frau Merkel ist die Kanzlerin des Nationalstaats Bundesrepublik Deutschland, der auch noch eine sehr einschlägige Geschichte hat. Als solche hat sie dessen Interessen in einer völlig anarchischen Weltgemeinschaft von Nationalstaaten, in der sich jeder vorrangig um sein eigenes Wohl kümmert, zu wahren. Für sie sind deshalb weniger die Ursachen der Flucht als vielmehr ihre Auswirkungen auf ihre Nation relevant. Ihre Stellung nötigt ihr also eine zweite Abstraktion auf. Um das zu verstehen, muss man nur einmal so viel Phantasie aufbringen, sich vorzustellen, was sie tun würde, wenn angesichts eines der inzwischen auch hierzulande üblichen Hochwasser, Flüchtlingsbewegungen innerhalb Deutschlands entstehen würden. Sicher würde sie dann nicht von der Notwendigkeit der Flüchtlingsbekämpfung sprechen und sicher würde dann nicht nur die Hilfe für die Flüchtlinge, sondern auch die Eindämmung des Hochwassers organisiert. Wenn also die Ursachen der Flucht in anderen Staaten zu suchen sind, über die unsere Kanzlerin schließlich nicht regiert, muss sie sich auf ihre Wirkungen konzentrieren. Und die bestehen darin, dass zumeist erschöpfte und traumatisierte Menschen hierzulande Aufnahme suchen und eventuell versorgt werden müssen. Für die Vertreterin deutscher Interessen Merkel sind die Flüchtlinge, nicht deren Flucht das Problem. Da spielt auch keine entscheidende Rolle mehr, dass niemand aus freien Stücken flieht. Wie die Bevollmächtigte einer imaginären Eigentümergemeinschaft am Staatsterritorium vertritt sie deren Interessen, wenn sie sich um den Reichtum, der auf dem Boden dieses Nationalstaats angehäuft wurde und um die Verletzung der vermeintlichen Eigentumsrechte seiner jetzigen Bewohner sorgt. Wurde im ersten Schritt eine Menschengruppe auf einen Sachverhalt reduziert, so wird im zweiten Schritt das Verhältnis umgekehrt und der Sachverhalt gewissermaßen auf die Menschengruppe projiziert. Man kennt das Muster aus der Nazipropaganda. Erst werden gesellschaftliche Missstände personfiziert und dann die Personen liquidiert, um den Missstand, den sie angeblich verkörpern, zu beseitigen. Erst jetzt ist die Gleichung vollständig vollzogen.

In der Logik dieses Kalküls liegt es, dass hilfbedürftige Menschen, zumindest wenn sie aus anderen Staaten kommen, ähnlich wie Krankheitserreger als Eindringlinge, die jemandem etwas wegnehmen wollen, oder wie Terroristen als Bedrohung wahrgenommen werden. Angesichts dieser Bedrohungslage sieht man sich in Deutschland, mal wieder muss man sagen, gezwungen, einen heroischen Abwehrkampf zu führen. Paranoia hat nicht immer nur rein individualpsychische Ursachen, sie kann ganze Kollektive befallen. Und die Verteidigung beginnt gleich hier. In typisch deutscher Prinzipienreitermanier wird nach dem Motto: „Wenn das jeder täte“, noch die letzte Mitleidsregung totgeschlagen und mit jeder gerade noch zulässigen Schikane dafür gesorgt, dass es hier auch nicht einer, der es trotz aller Hindernisse doch geschafft hat, eventuell zu gut hat. Das könnte sich ja herumsprechen.

Vor allem ergibt sich jedoch aus der Gleichung, dass Frau Merkel in ihrer Funktion nicht nur von „Flüchtlingsbekämpfung“ sprechen, sondern sie auch betreiben muss. Schließlich hat sie bei ihrem Amtsantritt geschworen, das Wohl der eingebildeten Eigentümergemeinschaft am Nationalterritorium zu schützen und zu mehren und Schaden von ihr abzuwenden. Dass sie diesen Auftrag allzu wörtlich verstehen könnte, erschreckt die Sprachwissenschaftler. Deshalb schickt Prof. Schlosser seiner Begründung die Hoffnung voraus, dass mit Bekämpfung nicht der Einsatz militärischer Mittel gemeint sei. Im öffentlichen Diskurs wird denn auch der vermeintliche Lapsus der Kanzlerin gerne als ein performativer Akt, eine Art Ankündigung, als populistische Propaganda verstanden, die vorbereiten soll, auf eine tatsächlich militärische Abwehr von Flüchtlingen, die in europäischen Institutionen längst ins Auge gefasst sei. Die Sprache diene der Lenkung des Bewusstseins.

Das tut sie zweifelsohne auch. Aber wie verblendet muss man sein, um darin die vorrangige Funktion dieser Äußerung zu sehen und dabei zu übersehen, dass der Kampf gegen die Flüchtlinge längst im Gange ist. Einmal googeln hätte gereicht, um sich darüber zu informieren, was an den Außengrenzen der EU vor sich geht. Ein Blick auf den Asylrechtsparagraphen des Grundgesetztes hätte genügt, um sich in Erinnerung zu rufen, dass auch dieser Kampf wieder einmal von deutschem Boden ausgegangen ist. Kaum zu glauben, dass die Jury das nicht weiß. Vielleicht wollte sie diplomatisch der Kanzlerin zu verstehen geben, dass sie es mit der Flüchtlingsbekämpfung nicht zu weit treiben sollte. Aber egal, ob die Jury sich absichtlich dumm stellt, oder ob sie tatsächlich so ignorant ist, beides steht gerade dem Sprachkritiker nicht an.

Wieder macht sich der Unwille oder die Unfähigkeit der Jury zur Differenzierung der Bedeutungen des Wortes „Bekämpfung“ bemerkbar. Wer nicht unterscheidet, sieht auch nicht die Einheit der Bedeutungen in dem einen Wort, sieht nicht die fließenden Übergänge zwischen dem metaphorischen und dem wörtlichen Kampf, übersieht, dass strukturelle Gewalt, der stumme Zwang der Verhältnisse, an irgendeiner Stelle in direkte Gewalt zumindest umschlagen können muss.

Die Staatsmänner und -frauen der BRD, beiliebe nicht erst Frau Merkel, kämpfen für uns und unseren angeblichen Reichtum mit Gesetzen und Verordnungen. Sie unterscheiden seit Gründung der BRD streng zwischen politischen Flüchtlingen und sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen. Die politischen dürfen hier einen Asylantrag stellen, über den man vielleicht nach Jahren zu entscheiden geruht. Bis dahin werden sie in Asylbewerberheimen zusammengepfercht, genießen keine Freizügigkeit und dürfen keine Arbeit aufnehmen. Die Wirtschaftsflüchtlinge werden hingegen gleich für illegal erklärt, denn sie sind ja die wirklichen Gegner. Aber auch die können sich als politische Flüchtlinge ausgeben und können dann hier so lange leben, bis irgendwelche spitzfindige Beamte einen Vorwand finden, sie auszuweisen. Darum hat der frühere Innenminister Seithers die berühmte Drittstaatenregelung erfunden. Die Flüchtlinge sollen nicht einmal mehr in die Nähe des Territoriums der BRD gelangen, dann können sie auch keinen Asylantrag stellen. Damit hat man das vermeintliche Problem schön weit von sich weggeschoben – bis zum Mittelmeer. Die EU-Staaten dort bedanken sich. Entweder kriminalisieren sie die Flüchtlinge und inhaftieren sie über Jahre wie in Griechenland. Oder sie sind etwas schlauer wie in Italien, überlassen sie sich selbst und hoffen, dass sie in die nörlicher gelegenen Staaten weiterwandern. Und so fällt der geniale Plan zurück auf des Erfinders Haupt. Die Drecksarbeit, die doch irgendwie erledigt werden muss, muss nun von der EU insgesamt organisiert werden, man kann sie nicht einfach den Mittelmeerländern überlassen, die nur unzuverlässige Handlager sind.

Man nutzt dazu verschiedene Möglichkeiten. Da gibt es die undurchsichtige, paramilitärische Organisation Frontex, die von sich selbst berichtet, über 5900 Flüchtlinge in einem Jahr zurückgeschickt zu haben, ohne dass die eine Chance bekamen, einen Asylantrag zu stellen. Das sieht dann in der Regel so aus, dass Flüchtlingsschiffe auf hoher See von Polizei- und Marinebooten abgedrängt und zur Rückkehr gezwungen werden, unbekümmert darum, ob sie dafür noch genügend Wasser oder Sprit haben. Oder man macht sich Gedanken darüber, in Nordafrika Konzentrationslager einrichten zu lassen, wofür man den Verantwortlichen dort gerne auch finanziell entgegenkommt. Oder man überlässt, und das ist die bisher immer noch erfolgreichste Methode, die Flüchtlinge Schlepperbanden, die an ihnen gut verdienen und sie mit Seelenverkäufern übers Meer schicken und, wenn sie das nicht mit sich machen lassen, gleich selbst die Schiffe versenken. 3000 Tote in diesem Jahr bisher. Wenn das kein Kampf ist, was soll dann einer sein?

Aber kein einziger Schuss und kein einziger Europäer ist dabei gefallen. Denn dieser Kampf wird vor allem mit politischen Beschlüssen geführt. Und selbst dort, wo er in direkte Gewaltanwendung übergeht, bleibt diese sonderbar passiv, sodass man nicht weiß, ob man das noch Gewalt nennen kann. Es wird nicht wirklich Hand angelegt. Die Drittstaatenregelung erlaubt es, das Mittelmeer als sehr effektive natürliche Grenze zu nutzen. Man lässt die Menschen einfach dort absaufen.

Wenn dieser Kampf so weit entfernt stattfindet und wenn er sich so elegant von hier aus führen lässt, dann möchte man doch nicht von irgendwelchen Politikern, die man alle vier Jahre dafür wählt, dass sie ihn führen, mit „dramatischen sprachlichen Fehlgriffen“ daran erinnert werden. Denn davon könnte das Gewissen angekratzt werden und das ist schon zuviel. Die sprachkritische Putzkolonne will nicht hören, was an den Grenzen der EU bereits jetzt und nicht erst in ferner Zukunft, wenn das Volk von Populisten darauf eingeschworen wurde, vor sich geht. Die eher euphemistische Umschreibung Fluchtbekämpfung für das Sterben dort wäre ihr wohl lieber, weil es den überzeugten Gutmenschen doch wenigstens weiter Raum für ihre Illusionen von Europa als dem Hort der Menschenrechte und ihrer moralischen Empörung darüber ließe, dass dem nicht so ist. So erhitzen sich die Gemüter nicht am stattfindenden Kampf gegen Flüchtlinge, sondern an der Sprache, die dem einigermaßen Ausdruck zu verleihen versucht, was geschieht.

Aber eigentlich ergänzen sich beide Seiten auf wunderbare Art und Weise. Nur weil die hiesigen Politiker den Deutschen die dreckige Seite der Flüchtlingsbekämpfung so weit vom Leibe halten, können die selbstzufrieden ihr gutes Gewissen und ihre hohen moralischen Standards pflegen, indem sie sich über angebliche Sprachverfehlungen aufregen. So kann man beides tun, die Flüchtlinge bekämpfen und sich wie ein moralisch integrer Mensch fühlen.

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