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Wenn wir wollen, dass alles bleibt, wie es ist, muss sich alles ändern.
(Guiseppe Tomasi di Lampedusa: Il gattopardo)
Das Postfaktische, oder sollte man besser sagen: der Postfaktische ist zum Faktum geworden. Donald Trump ist der 45. Präsident der USA. Gemacht haben ihn dazu die amerikanischen Wähler am Ende eines Wahlkampfes, der in der gesamten angeblich zivilisierten Welt Entsetzen auslöste und vor allem deren bisher politisch Verantwortliche das Fürchten lehrte. Denn das vermeintliche politische greehorn siegte, obwohl, weil oder indem – das ist noch nicht geklärt – es hemmungslos und dummdreist seine politische Ahnungslosigkeit zur Schau stellte, seinen Wahlkampf vorrangig mit rassistischen und sexistischen Ressentiments statt mit einem nachvollziehbaren Programm bestritt, Kurzbotschaften via Twitter sowie Rüpeleien und Drohungen gegenüber Gegnern und Presse der sachlichen Diskussion und Argumentation vorzog, weder auf Konsistenz, noch auf Kohärenz seiner Aussagen auch nur den geringsten Wert legte und ohne Skrupel draufloslog und Gerüchte in die Welt setzte, wenn es ihm in den Kram passte. Ein solcher Widerling erschien dem Wahlvolk schließlich authentischer als die erfahrene, seriöse, meist souverän auftretende und bestens informierte Gegenkandidatin Hillary Clinton.
Wenn sich irgendeine Linie in Trumps wirr wirkenden Wahlkampf ausmachen lässt, dann offenbar die, klare Kante zu zeigen, überall und wann immer es möglich war, mit allen Mitteln deutlich zu machen, dass er nicht nur eine Alternative, sondern dass er den vollkommenen Gegensatz zum bestehenden Politikbetrieb und seinen Repräsentanten verkörpere. Ein politischer Beobachter bemerkte etwas überspitzt aber wohl nicht unzutreffend, dass die einzige erkennbare Strategie Trumps darin bestand, erfahrene Berater zu bezahlen, um dann zu tun, wovon ihm die Experten abrieten. Es ist deshalb auch verlorene Liebesmüh, irgendein eigenständiges, inhaltlich bestimmtes politisches Programm oder das, was man eine politische Vision nennt, aus seinen Äußerungen zusammenstückeln zu wollen, das kann sich, wenn überhaupt, nur aus seinem Verhältnis zu dem ergeben, wogegen er zu Felde zog und immer noch zieht. Nicht auf dem, was er sagt, sondern auf der Simplizität seines Freund-Feind-Schemas beruht sein Erfolg, darauf den Gegensatz zum von ihm ausgemachten Gegner auf die höchste Stufe der Abstraktheit zu treiben und allein an dessen Schwächen das eigene Profil zu schärfen, – frei nach dem Motto: Noch die offene Lüge muss wohltuend und der Wahrhaftigkeit näher wirken, wo die Idee der Humanität auf den Hund einer heuchlerischen political correctness gekommen ist.
Die von ihm verachtete Mainstream-Journallie warf ihm denn auch vor, die Gesellschaft zu spalten und fasste den Wahlkampf in der griffigen wie fragwürdigen Formel eines Kampfes des Populismus gegen das Establishment zusammen. Tatsächlich lässt sich sein gesamtes bisheriges Auftreten in Form von Gegensatzpaaren charakterisieren, die auf eine ähnliche Formel zu bringen sind: Hier der Amateur, dort die Politprofis, hier der Volksvertreter, dort die Funktionäre eines im Zuge gesellschaftlicher Arbeitsteilung abgekoppelten politischen Systems, hier derjenige, der willkürlich nach eigener Meinung entscheidet, dort die, die sich nach Fakten richten und dem Sachzwang gehorchen, hier direkte Eingriffe in die Wirtschaft und Protektionismus, dort Freiheit des Marktes und Globalisierung, hier Deal, dort Gesetz – oder um das Ganze in den Begriffen der von Max Weber geprägten politischen Soziologie zu formulieren: Hier charismatische, dort bürokratische Herrschaft.
Damit soll nicht behauptet sein, dass Trump Charisma ausstrahle, dass ihn eine Aura übernatürlicher Gaben des Körpers oder des Geistes, oder einer höheren Berufung umwebe. Gegen diesen ebenso hirn- wie geschmacklosen Kretin mit mittelmäßigen Schul- und Studienleistungen, der nicht einmal den Nimbus des amerikanischen selfmademan für sich beanspruchen kann, weil Papa schon Unternehmer war und ihn mit einem ansehnlichen Startkapital auf die Reise zum Immobilienmilliadär schickte, auf der er auch noch einige Bankrotte hinlegte, wirkt selbst ein Hitler charismatisch, der von ganz unten kam, dem immerhin eine ungewöhnliche Rednergabe zugesprochen wurde, und der alle Züge eines irrsinnigen Fanatismus zur Schau stellte. Nein! Die Besonderheit Trumps besteht eben darin, ein charismatischer Herrscher ohne jeden Anflug von Charisma zu sein. Er ist der personifizierte Ego-Trip, die gewissermaßen auf den mathematischen Punkt leerer Identität des Ich bin Ich zusammengezogene, reine Subjektivität ohne jede Besonderheit. Im abstrakten, nur noch mit sich identischen Einzelnen, das kein Außen, kein Nicht-Ich mehr kennt und sich deshalb allmächtig wähnt, feiert aber nicht nur der liberalistische Individualismus, sondern zugleich der Machtapparat, dem Trump nun vorsteht, seine Vollendung. Er muss ihn nicht einmal erst wie Erdogan umbauen, die USA ähneln schon trotz checks and balances konstitutionell einer plebiszitären Führerdemokratie. Vom Wähler an die Spitze des Verwaltungsstabes gestellt, repräsentiert er aber nur dessen Macht, den Wahn, dass man alles tun könne, was man wolle, weil die USA das mächtigste Land der Erde sind. „America first“ soll Wahrheit werden dank der Geschlossenheit des Apparates, den der abstrakte Einzelne an seiner Spitze verkörpert. Der muss nur noch dekretieren: je absurder die Beschlüsse, desto deutlicher die Machtdemonstration. In Trumps Irrsinn manifestiert sich der objektive. Er ist deshalb ebenso ein Funktionär wie all die blutleeren politischen Apparatschicks, gegen die er so vehement wettert. Um es in den Begriffen der gängigen Soziologie zu sagen, verschmelzen durch ihren abstrakten Gegensatz hindurch Rolle und Person in Trump zu einer Einheit. Weil er so ganz und gar Person ist, füllt er seine Rolle so gut aus, weil er ganz in seiner Rolle aufgeht, muss er ständig aus ihr herausfallen.
Max Weber betrachtete hingegen den charismatischen Herrscher der Moderne noch so, wie Trump sich gibt, nämlich als Gegentypus zu der ihr eigentlich angemessenen bürokratischen Herrschaft. Sie charakterisiert er als legale Herrschaft, weil sie auf einem Fundament „absichtsvoll gesatzter Regeln“ aufbaue, denen auch der noch unterworfen sei, der an der Spitze des hierarchisch geordneten Verwaltungsstabes stehe. Mit der Entfaltung der Geldwirtschaft in der Moderne komme nun jener Prozess der Rationalisierung oder der „Entzauberung der Welt“ in Gang, der die legale Herrschaft zur völlig versachtlichen Herrschaft eines bürokratischen Apparates formiere und dem Weber bekanntlich äußerst skeptisch gegenüberstand. Den Konzentrations- und Monopolisierungstendenzen in der Wirtschaft entspreche eine stetige Ausweitung des Staatsapparates, die zur Bürokratisierung des gesamten gesellschaftlichen und individuellen Lebens führe und auf allen Ebenen in Autonomieverlust des Individuums münde, das sich mittels kapitalistischer Ökonomie und legaler Herrschaft gerade erst auf den Weg zum Ausgang aus seiner Unmündigkeit gemacht hatte. So schreibt Kurt Lenk, in seinem Buch „Staatsgewalt und Gesellschaftstheorie“, dem die obigen Erläuterungen zu Webers politischer Soziologie weitgehend entnommen sind: „Die von Weber beobachtete und vorausgesagte, unaufhaltsame Bürokratisierung des gesamten sozialen Lebens führe zwangsläufig zu einer allmählichen Erstarrung der Herrschaftsordnungen, die sich gleichsam schicksalhaft über die Menschen zu erheben scheinen. Alles Experten- und Fachwissen tritt in den Dienst solcher Herrschaft. Den Preis dieses gesellschaftlichen Fortschritts an Rationalität sieht Weber im rapiden Verlust jener individuellen Freiheitsmöglichkeiten, um deren Erhaltung es ihm doch zu tun war“ (ebd. S. 170). Was so entsteht, ist das berühmtberüchtigte stählerne Gehäuse der Hörigkeit, dessen Fassade nur noch die liberale Demokratie bildet. Weber sei deshalb, so Lenk weiter, der Versuchung erlegen, nach einer plebiszitären Führerdemokratie zu rufen, weil nur willensintensive Führer in der Lage seien, der freiheitsbedrohenden Verselbständigung solcher Bürokratien entgegenzuwirken. „Dort, wo Fachverstand der Apparate an seine Grenzen stößt: bei der eben nicht mehr nur routinemäßig zu bewältigenden politischen Führungstätigkeit, erblickt Weber die Notwendigkeit einer charismatischen Führung durch souveräne Politiker. Was einmal, liberaler Auffassung gemäß, die Initiative freier Unternehmer für die Wirtschaft leistete, überträgt er nun auf den politischen Bereich“ (ebd. S. 171).
Liest man die Passagen über Weber in Lenks Buch, so mag man sich verwundert die Augen reiben: Wie kann eine soziologische Analyse der politischen Verhältnisse vor mehr als 70 Jahren so exakt auf die Aktualität passen? Wiederholt sich die heute noch unfassbare Tragödie des mitteleuropäischen Faschismus als Farce, die nun auch die Mutterländer der modernen Demokratie im Westen erfasst? Schon dieser Unterschied, dass die heutige Bewegung nach rechts viel umfassender wirkt als ihr vermeintliches geschichtliches Vorbild, sollte jedoch von voreiligen, abstrakten Vergleichen Abstand nehmen lassen.
Aber es ist hier nicht der Ort, Geschichtstheorie zu treiben. Die Rekapitulation wesentlicher Zusammenhänge der politischen Soziologie Max Webers soll ebenso wie die Warnung vor vorschneller Analogiebildung den Blick dafür schärfen, die letzten Erfolge des sogenannten Populismus mit seinem Programm einer plebiszitären Führerdemokratie, die dem ungeschminkten Nationalismus in der globalisierten Welt wieder Geltung verschaffen soll, nicht als ein historisches Rollback misszuverstehen, sondern als andere Seite oder gar Weiterentwicklung des seit Jahrzehnten propagierten Neoliberalismus zu begreifen. Und das bedeutet auch, das Faktum Trump nicht nur danach zu beurteilen, wie er sich gibt, nämlich als unerbittlicher Gegenspieler des neoliberalen Establishments, sondern ihn als dessen Ausgeburt zu erkennen.
Denn bemerkenswert an Lenks Darstellung ist vor allem, dass er den Ruf nach dem Führer als eine Konsequenz liberalen Denkens charakterisiert, das gleich in zweierlei Hinsicht an sein Ende gekommen ist. Zum einen wird ihm mit dem freien Markt gewissermaßen die Geschäftsgrundlage entzogen. Die diesem selbst innewohnende Tendenz zur Konzentration und Zentralisation des Kapitals zerstört ihn und mit ihm die ökonomische Basis einer noch liberalen Form legaler Herrschaft, die sich infolgedessen in bürokratische transformiert. Zum anderen zeigt Weber der Blick auf das, was sich zu seiner Zeit als gesellschaftliche Alternative anbot, die gerade entstandene Sowjetunion, diese nicht als Wahrheit des Liberalismus in einem Hegelschen Sinne, nicht als seine Aufhebung in einer höheren Form von Liberalität oder wie Marx es noch im Kommunistischen Manifest versprochen hatte, als „Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist“, sondern als abschreckendes Beispiel für eine Gesellschaft, die die Vervollkommnung bürokratischer Herrschaft anstrebt. Genau dieses Beispiel hätte den eingefleischten Kommunistenhasser Weber jedoch auch lehren müssen, dass Führer- und Personenkult keineswegs unvereinbar sind mit dem Ausbau des stählernen Gehäuses der Hörigkeit, dass der Führer ihm nicht „entgegenwirkt“, oder es gar aufzubrechen vermag, sondern das Tüpfelchen auf dem i seiner hierarchischen Organisation bildet, die sich mit ihm an ihrer Spitze nur umso enger und härter um die Individuen zusammenschließt. Aber vielleicht ist Weber auch nur zu früh gestorben um dessen bzw. der Möglichkeit einer faschistischen Variante der Verknüpfung von charismatischer und bürokratischer Herrschaft noch gewahr werden zu können.
Wir hingegen können das. Dazu muss man den Blickwinkel nur etwas weiten, ihn nicht nur auf den Wahlkampf beschränken, der mit Trump und Clinton tatsächlich nur noch zwei Extreme zu bieten schien. Richtet man ihn darüber hinaus auf die zeitliche Abfolge, begreift man die Wahl Trumps auch als Abrechnung mit der Ära Obama, wird es schon sehr viel schwieriger, die gegensätzlichen Bestimmungen den Vertretern der beiden Seiten eindeutig zuzuordnen, hier den Populisten oder charismatischen Herrscher, dort den Etablierten oder Bürokraten auszumachen. Ist nicht Obama eher ein Politiker, den man im herkömmlichen Sinne als charismatisch bezeichnen würde, als der tumbe Trump? Zeigte seine Politik mit Obamacare nicht zumindest wohlfahrtsstaatliche Ansätze? Versprach er dem Wahlvolk nicht weit mehr, als er einhalten konnte? Wollte er nicht die Kriegseinsätze reduzieren und Guantanamo abschaffen und den losgelassenen bürokratischen Repressionsapparat damit sowohl außen- als innenpolitisch wieder den Prinzipien legaler Herrschaft unterwerfen? Musste er nicht fast seine gesamte Amtszeit über mit einem reichen, weißen und rassistischen Establishment kämpfen, das in Fundamentalopposition zu ihm gegangen war? Nahm er so nicht gerade die Funktion wahr, die Max Weber dem charismatischen Herrscher zuschrieb?
Und umgekehrt: Ist Trump nicht ein Politiker, wie er nur dem Bilderbuch des Neoliberalismus entsprungen sein kann? Predigten dessen Ideologen nicht stereotyp über Jahre, dass es die Marktkräfte schon richten werden, dass die Macht des Staates zurückzudrängen sei, woimmer dies möglich erscheine, und dass deshalb Privatisierung auf allen Ebenen das Gebot der Stunde sei? Klagten Sie nicht stets über die ausufernde Bürokratisierung, die die unternehmerische Initiative ersticke, über ihre Ineffizienz und langwierige politische Prozesse? Wollten Sie Entscheidungsprozesse nicht straffen und die Einflussmöglichkeiten von Parlamenten, die sie gerne als Debattierclubs verunglimpften, beschränken? Propagierten Sie nicht, die „Kultur des Deals“ solle an die Stelle der Regelung der allgemeinen Angelegenheiten durch Gesetze treten und die umständlichen Verfahren ihres Erlasses ersetzen? Priesen sie nicht das Kosten-Nutzen-Kalkül des von ihnen konstruierten homo oeconomicus als Inbegriff der Rationalität und bestritten allen, die an diesem Dogma Zweifel äußerten, jede Vernunft? Forderten Sie nicht, der Staat solle wie ein Unternehmen strukturiert und geführt werden? Stilisierten Sie nicht die Unternehmerfigur, obwohl die zumindest in den Großkonzernen längst durchs Management ersetzt ist, zum Vorbild nicht nur für die Politiker, sondern schlichtweg für alle? Erfüllen sich mit dem Amtsantritt Donald Trumps nicht ihre kühnsten Träume? Jetzt übernimmt ein Unternehmer die Führung der letzten verbliebenen Weltmacht und will sie fit machen für den globalen Standortkonkurrenzkampf und im neoliberalen Establishment bricht das Heulen und Zähneklappern los. Verkehrte Welt!
Das Bild wird klarer, wenn man den Gegensatz nicht als einen zwischen Persönlichkeiten, oder einen zwischen charismatischem Herrscher und notwendigem Verwaltungsstab, oder zwischen Populismus einerseits Establishment andrerseits begreift, sondern als einen strukturellen zwischen politischem und ökonomischen Apparat. Deren Gegensatz gehört gewissermaßen zur DNA der bürgerlichen Gesellschaft mit der für sie konstitutiven Trennung von Gesellschaft und Staat, erfährt jedoch durch die Globalisierung eine Zuspitzung zur regelrechten Frontenbildung, wie man sie derzeit beobachten kann.
Gerade den Ahnen der heutigen Neoliberalen, allen voran Adam Smith, war eines sehr bewusst: Kein Markt ohne Staat! Auch die verbohrtesten Marktfetischisten dürften deshalb nie an einer vollständigen Privatisierung staatlicher Aufgaben, an Auflösung staatlicher Gewaltmonopole und Anarchie interessiert gewesen sein. Die Einzelkapitale müssen die allgemeinen Bedingungen vorfinden, unter denen sie mehr oder weniger friedlich koexistieren können, Kapital fluktuieren und der Warenaustausch vonstatten gehen kann. Sie brauchen den Staat nicht nur, damit er ihnen materiell die notwendige Infrastruktur bereitstellt, sondern vor allem damit diese allgemeinen Bedingungen in Form des Rechts kodifiziert und mittels des staatlichen Gewaltmonopols im Notfall gegen die Einzelkapitale mit ihren Sonderinteressen durchgesetzt werden können. Ohne ihn würde unter den technisch aufeinander angewiesenen, ökonomisch jedoch im unerbittlichen Konkurrenzkampf miteinander stehenden Unternehmen der von Hobbes bereits zu Beginn der bürgerlichen Epoche perhorreszierte bellum omnium contra omnes ausbrechen. Die bürgerliche Gesellschaft würde sich selbst zerlegen. Erst der Staat schafft den einheitlichen Wirtschaftsraum, in dem sie agieren und interagieren können.
Zu den allgemeinen Bedingungen gehört jedoch auch, dass die Kapitale auf Arbeitskraft in Warenform und Naturressourcen in ausreichendem Maße zurückgreifen können, um sie auszubeuten. Was ihnen als Bedingungen ihrer Konkurrenz erscheint, sind der Sache nach Bedingungen ihrer Verwertung, das eine ist nicht ohne das andere. Im Staat und seinem Recht tritt ihnen in entfremdeter Form ihr gemeinsames Interesse an günstigen Ausbeutungsbedingungen entgegen, das sie als solches aufgrund ihrer Konkurrenz, die sie in einen feindlichen Bruderkampf miteinander verwickelt, nicht als ihr Klasseninteresse zu identifizieren vermögen. Sie erfahren ihr eigenes Klasseninteresse dergestalt als staatliche Regelung der allgemeinen Angelegenheiten und als Eingriff in ihre unternehmerische Freiheit, ihre jeweiligen Sonderinteressen zu verfolgen. Aber nur durch die Vermittlung des Staates hindurch formieren sie sich zur Klasse und nur zur Klasse verbunden können sie über die andere Klasse herrschen. Bei allem stummen ökonomischen Zwang, den sie entfalten können, sind sie zuletzt doch auf den Gewaltmonopolisten angewiesen, wenn es darum geht, nicht nur sie zusammen-, sondern vor allem die anderen unten zu halten.
Die vielgepriesene Globalisierung bietet nun gerade den multinationalen Konzernen die einzigartige Gelegenheit, die Vorteile staatlicher Strukturen zu nutzen und sich zugleich von staatlicher Bevormundung und Reglementierung zu emanzipieren. Denn ein Weltstaat mit einer eigenen Verwaltungsstruktur und passenden Verfahren, allgemeine Regelungen für die global organisierten und tätigen Großkonzerne zu definieren und sie ihnen aufzuherrschen, existiert nicht. Die souveränen Nationalstaaten können höchstens Bündnisse schließen, um untereinander Vereinbarungen zu treffen, und versuchen, sie mittels ihrer vereinigten Macht anderen aufzuzwingen. Sie können miteinander Verträge und Freihandelsabkommen aushandeln und internationale Institutionen gründen, die über die Kreditvergabe auch ökonomischen Druck auf die einzelnen Mitgliedsstaaten ausüben können, aber diese Konstrukte bleiben extrem instabil. Immer umfassen die Verabredungen nur einige, wenn auch mächtige Vertragspartner, immer bleibt den souveränen Akteuren die Möglichkeit, sie wieder aufzukündigen, wenn sie sie nicht mehr als vorteilhaft für sich erachten, immer droht von jenen, die nicht dazugehören, die Gefahr, dass sie die Selbstverpflichtung in ihrem Interesse ausnutzen. Ein wirklicher globaler Weltbinnenmarkt entsteht auf diese Weise nicht. Die Globalisierung, die der alte Neoliberalismus als Chance auf eine Frischzellenkur einer angesichst fallender Profitraten zusehens stagnierenden Kapitalakkumulation begriff, verstellt zugleich den Weg zu einem einigermaßen stabilen Akkumulationregime.
Genau diese Konstellation erlaubt es den multinationalen Konzernen erfolgreich global zu agieren. Der freie Waren-, vor allem jedoch der freie Kapitalverkehr, in begrenzteren Maßen auch die Mobilität der Arbeitskräfte stellen sich ihnen als Folge des Sachzwangs zu zunehmender technischer und organisatorischer Verflechtung dar, die sie ihrerseits erst ermöglichen. Sie drängen jedoch nur so vehement auf rechtliche und bürokratische Standardisierung und Anpassungen zwischen den Staaten, weil ihr Geschäftsmodell gerade darauf beruht, die unterschiedlichen Bedingungen in den einzelnen Nationalstaaten auszunutzen und sie gegeneinander auszuspielen. Die Parole vom Freihandel verdeckt, dass sie stets auf der Suche nach den günstigsten Bedingungen sind, Menschen und Natur auszubeuten. Wenn daher die Wirtschaftsvertreter sich ständig darüber beschweren, welcher Verwaltungsaufwand ihnen aufgrund der Verschiedenheit nationaler Gegebenheiten aufgebürdet werde, und natürlich über die Vorteile, die ihre Konkurrenten davon hätten, dass sie nicht den gleichen Regelungen unterworfen seien wie sie, so zielen diese Klagen doch vorrangig darauf ab, neue Regelungen am eigenen Standort zu verhindern oder bestehende aufzuweichen.
Da kommt ihnen die strukturelle Uneinigkeit der sogenannten Staatengemeinschaft gerade recht. Das moderne Staatswesen ist dadurch charakterisiert, dass es von seiner eigenen produktiven Basis abgekoppelt ist, dass die Produktionsmittel Privateigentum sind. Wollen die einzelnen Staaten nicht, dass ihnen der wirtschaftliche Boden, auf dem sie stehen, unter den Füßen weggezogen wird, müssen sie um die Gunst des Kapitals buhlen. Sie geraten so in die widersprüchliche Situation, die Standardisierung und Verallgemeinerung von Regeln vorantreiben und zugleich sich selbst als besonders geeigneten Standort anbiedern zu müssen. Während die Staaten auf diese Weise der ökonomischen Konkurrenzlogik unterworfen werden und sich in ihrem Verhalten immer stärker Unternehmen angleichen, die sie nicht sind, werden die Multis, die sie jederzeit mit Liebesentzug erpressen können, zu selbständigen politischen Akteuren, weil sie sich die Rosinen herauspicken und gegebenenfalls an günstigere Standorte ausweichen können. Angesichts der bereits extrem hohen Konzentration und Zentralisation auch auf dem Weltmarkt, der Monopol- und Oligopolstrukturen, die auf ihm herrschen, stellt sich tatsächlich die Frage, ob das überschaubare Personal, das die Großkonzerne lenkt, noch eine Klasse bildet und ob es noch eines Staates bedarf, um ihre gemeinsamen Interessen zu formieren. Die für die Staaten paradoxe Konstellation setzt von alleine nicht nur die bekannte Abwärtsspirale bezüglich international durchsetzbarer Standards in Gang, die man hinlänglich aus den Verhandlungen kennt, sondern begründet auch die Dominanz wirtschaftlicher Interessen in ihnen.
Die teilweise entmachteten Staatenlenker der mächtigen Industrienationen versuchen, die Folgen für ihre Länder abzumildern, indem sie unter der Parole des Freihandels die Öffnung der Märkte vorantreiben, sich dergestalt zwar der Erpressung der Multis fügen, aber ihrerseits die weniger entwickelten Staaten erpressen und die Lasten der Globalisierung zu einem gerüttelt Maß auf sie abwälzen. Denn seit jeher propagieren Staaten den Freihandel immer dann, wenn entscheidende Wirtschaftszweige der heimischen Industrie sich aufgrund ihres Produktivitätsvorsprungs einen Vorteil von Marktöffnungen versprechen. Bei dem, was man heute Globalisierung nennt, geht es jedoch, wie wohl schon zu Zeiten des guten alten Kolonialismus nicht nur und vielleicht nicht einmal in erster Linie um Absatzmärkte, sondern um Anlagesphären für Kapital. Aufgezwungen werden der früheren 3. Welt von den Industriestaaten die bekannten Strukturanpassungsmaßnahmen, die sie zu besonders günstigen Standorten vor allem für die Rohstoffproduktion machen sollen. Dass die ehemaligen Kolonien inzwischen selbständige Staaten sind, hat den großen Vorteil, dass die früheren Kolonialherren beim Abstecken der Einflusssphären nicht mehr unmittelbar miteinander in Konflikt geraten und nur noch dann selbst militärisch aktiv werden müssen, wenn sich die sogenannten einheimischen Eliten nicht von sich aus bereitfinden, die ihnen gemachten Auflagen mit allen Mitteln des Gewaltmonopolisten gegen die eigenen Bevölkerungen durchzusetzen. Es hat den Nachteil, dass zumindest die mächtigeren unter ihnen, eine eigenständige Industrialisierungspolitik verfolgen können. Mit weit interessanteren Ausbeutungsbedingungen egalisieren sie zumindest teilweise die Vorteile der deutlich besseren Infrastruktur und der höheren Produktivität in den entwickelteren bzw. eröffnet gerade ihre mangelhafte Infrastruktur langfristige Anlagemöglichkeiten, sodass das Kapital dorthin abwandert. So fällt der Plan zurück seiner Erfinder Haupt. Die sogenannten westlichen Dienstleistungsgesellschaften geraten nicht nur zunehmend in Abhängigkeit von den Rohstoffvorkommen anderer Länder und den dorthin ausgelagerten industriellen Produktionsstätten, sondern ihre arbeitende Bevölkerung auch in direkte Konkurrenz zu den Elenden der Billiglohnparadiese. Das mag die Kapitalmagnaten freuen, die Wohlfahrtsstaaten des Westens setzt es unter erheblichen Druck.
In der Finanzkrise schien es für einen Augenblick so, als ob sich die neuen Wirtschaftsimperien doch nicht so unabhängig von den Staaten machen könnten, wie sie glauben. Die großen Finanzmarktakteure, die die Kapitalflüsse vermitteln und so die Kapitale zusammen- und den Verwertungsprozess am Laufen halten, gerieten in Gefahr zu bankrottieren, und waren auf die Rettungsaktionen der Staaten angewiesen. Aber de facto dokumentierte die Krise nur die völlige Ohnmacht der Staaten. Weil die Banken „to big to fail“ waren, weil aufgrund ihrer internationalen Verflechtungen Dominoeffekte zu befürchten waren und ganze Gesellschaften in den Strudel hineingezogen zu werden drohten, mussten die Politiker ihre Verluste verstaatlichen. Die Staatsverschuldung stieg immens an, ebenso die Arbeitslosigkeit, und auch der europäischen Peripherie mussten Strukturanpassungen abverlangt werden. Seitdem geht auch in den kapitalistischen Mutterländern wieder das Gespenst von nicht mehr für möglich gehaltener Verelendung um. Danach erwachte zwar bei den Politikern erneut ein Selbstbewusstsein von ihrer ursprünglichen Aufgabe im arbeitsteiligen Zusammenspiel von Staat und Gesellschaft. Sie verstärkten ihre Anstrengungen, möglichst allgemeinverbindliche Regularien für den Wirtschaftsprozess auf internationaler Ebene zu kreieren und ein gewisses Maß an Souveränität zurückzuerlangen. Aber weder waren diese Bemühungen besonders glaubwürdig, denn sie waren kaum vom vorherigen Kurs zu unterscheiden, noch waren sie besonders durchgreifend und erfolgreich, denn an der Konstellation von Multis und Staaten hatte sich grundsätzlich nichts geändert. Dementsprechend wurde nach der Krise im Großen und Ganzen so weitergewurschtelt wie zuvor.
Die Krise hat vor allem eines vor Augen geführt: Das große Versprechen der Neoliberalen von der stetig wachsenden Prosperität, die allen zugute kommen sollte, kann der globalisierte Kapitalismus nie erfüllen. Es hat sich als das unhaltbare Lügengespinst entpuppt, das es immer schon war. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall: Er bringt die Verelendung, die so lange in die 3. Welt ausgelagert werden konnte, in die Metropolen zurück, sowohl in der Form, dass dort der Lebensstandard weiter sinkt, als auch in der Form, dass die Elenden der Welt, sich ihren Weg in die noch reicheren Länder suchen. Die Staaten- und Wirtschaftslenker können sich noch so viele Verträge ausdenken und Maßnahmen ergreifen, um den Prozess der Kapitalakkumulation am Leben zu halten, die Ergebnisse ihrer Mühen werden sich stets als gegen die vitalen Interessen der ganz überwiegenden Mehrheit der jeweiligen Bevölkerungen gerichtet erweisen, weil der Kapitalprozess ein Ausbeutungsprozess ist und bleibt. Immer absurdere Formen nimmt der Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen an, mit jedem Tag wirkt er sich fataler auf die Gesamtgesellschaft aus. Unübersehbar sind die selbstdestruktiven Tendenzen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung. Sie unterminiert inzwischen auch noch jeden oberflächlichen Schein ihrer Legitimität. Jede Statistik zu den Veränderungen der Einkommens- und Vermögensverteilung in den letzten Jahrzehnten pfeift es von den Dächern, dass nur ganz wenige von ihr profitierten, dass einige unermesslich reich wurden, während die große Masse immer ärmer wurde. Selbst die konservativsten Ökonomen und Medien kommen daran nicht mehr vorbei. Ihre blamabel idiotischen Bemühungen die selbst für hartgesottene Marxisten unvorstellbaren Ausmaße der Kapitalkonzentration, die die letzten Studien von Oxfam andeuten, methodisch in Frage zu stellen oder mittels dümmlichster Erklärungen von ihren tatsächlichen Ursachen abzulenken, dokumentieren nur eines: Ihren eigenen intellektuellen Ruin, das vollständige Scheitern bei dem Versuch, den gesellschaftspolitischen Skandal weg- und schönzureden. Aber irgendwie muss er doch aus der Welt. Denn angesichts solcher Fakten lässt sich auch der schlichte Gedanken kaum mehr unterdrücken, dass man in einem System der Ausbeutung lebt, in dem die soziale Ungleichheit zunehmen muss, dass also die einen reich sind und immer reicher werden, weil die anderen arm sind und immer ärmer werden und umgekehrt. Ist da ein postfaktischer US-Präsident Trump nicht der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort?
Man muss wohl davon ausgehen, dass mit Trump der globalisierte Kapitalismus in eine neue Phase eintritt. Wo die Verelendung international, also auch am Hauptsitz des Kapitalismus in Amerika weiter vorangetrieben werden muss, muss die unmittelbare Repression zunehmen. Das können aber nur die altbewährten Gewaltmonopole leisten. Verlangten die Neoliberalen noch von den Politikern wie Unternehmer zu denken und zu handeln, übernimmt jetzt ein Unternehmer die Staatsgeschäfte und gibt den Staatsmann. Und er zeigt der alten Garde, wie die Souveränität des Staates zu restituieren ist und welche Funktion ihm zukommt. Dazu bildet er als erstes ein Kabinett der Milliadäre und der Generäle, wie ein Kommentator im Deutschlandfunk die Regierung Trump nannte. Treffender hätte man es nicht sagen können. Das Personaltableau ist das eigentliche Regierungsprogramm. Das besteht in dem, was Warren Buffet bereits vor Jahren als den Krieg der Reichen gegen die Armen bezeichnete. Letztere macht die fortschreitende Globalisierung zu frech und aufmüpfig, sie müssen fester an die Kandarre genommen werden. Der nur stumme ökonomische Zwang und die bisherigen halbherzigen Maßnahmen der alteingesessenen Politikerriege reichen nicht länger. Sie ist zu skrupolös, hält an längst heruntergekommenen, demokratischen Werten fest, schließt immer wieder unnötige Kompromisse, wenn es darum geht, doch zumindest den Schein aufrechtzuerhalten, dass das, was zu tun ist, noch irgendwie mit ihnen vereinbar sein muss. Was soll diese ganze Humanitätsduselei? Stattdessen müssen jetzt all die Möglichkeiten genutzt werden, die die plebiszitäre Führerdemokratie, die die USA bereits konstitutionell sind, bietet, und ein Dekret nach dem anderen unterschrieben werden – eines repressiver als das andere. Und der Verwaltungsstab steht diesmal, anders als bei Obama, Gewehr bei Fuß. Der Despotismus der Fabrik hält Einzug ins politische Tagesgeschäft.
Die Politik Trumps selbst zeigt keine großen Unterschiede zu dem, was man kennt. Es wird nur radikaler verfochten und effizienter umgesetzt. Selbstverständlich wird der sogenannte Krieg gegen den Terror verschärft und sowohl der innere wie der äußere Sicherheitsapparat ausgebaut und mit mehr Kompetenzen versehen – Folter eingeschlossen. Obamacare wird rückgängig gemacht, ebenso die Bankenregulierung, die Unternehmenssteuern sollen gesenkt werden, Wohlstand soll mal wieder mit mehr Jobs geschaffen werden – in einem Land in dem derzeit herrscht, was die Ökonomen als Vollbeschäftigung definieren. Und die vielen neuen Jobs soll ein staatliches Investitionsprogramm aus dem Boden stampfen, das in Zeiten guter Konjunktur wie im Moment überflüssig wie ein Kropf ist und nur die Staatsverschuldung in die Höhe treibt. All diese Maßnahmen dienen wohl kaum der Bevölkerung, die den notwendigen Repressionsapparat, der ihre Ausbeutung garantieren soll, auch noch bezahlt, sondern erhöhen nur die Attraktivität des Standortes fürs Kapital, dem hier alle Bedingungen für weitere Lohndrückerei und staatliche Garantien für Extraprofite geboten werden.
Die neoliberale Ideologie von freien Märkten und dem Segen des Freihandels hat allerdings als Legitimationsgrundlage abgewirtschaftet. Was sich geändert hat, ist die ideologische Begleitmusik. Das Loblied auf die Globalisierung wird abgelöst von der Nationalhymne. Das kann nicht anders sein, wo die Bedeutung des souveränen Staates als Unterdrückungsapparat wiederentdeckt wird. Fatalerweise treffen sich in ihrer Vorstellung von der Aufgabe des Nationalstaates eine (sozial)demokratisch erzogene und vom sozialen Abstieg nicht nur bedrohte, sondern bereits abgestiegene weiße Arbeiterschaft mit der aggressiven Unternehmerclique um Trump. Ihr Nationalismus vereinigt sie. Nur verstehen die einen diese Aufgabe völlig anders als die anderen. Während die ehemaligen Fabrikarbeiter sich nach fordistischen Zeiten zurücksehnen, in denen der Nationalstaat zu ihren Gunsten in die Wirtschaft zu intervenieren schien, und auch jetzt wieder auf ihn als der einzigen Macht rechnen, die die Konzerne an die Leine nehmen kann, haben die Milliadäre ihren Marx fleißig studiert und wissen, dass Kapitalakkumulation und Ausbeutung forciert werden müssen.
Aber gerne sind sie bereit, die dämlichen Arbeiter in ihrem frommen Glauben zu lassen. Trump gibt auch auf diesem Terrain den starken Mann, den sie so sehr herbeisehnen, und twittert schon mal dem oder jenem Vorstandschef eine Drohung mit Strafzöllen, falls der anderswo Produktionsanlagen errichten lassen will. Er signalisiert so, den Spieß der Globalisierung umdrehen zu wollen. Die Konzerne sollen nicht länger die Staaten, sondern der Staat soll die Konzerne erpressen. Tatsächlich zeigt sich darin die Schwäche, nicht die Stärke der einstigen Weltmacht. Der Hegemon der Industrienationen und das Rückgrat der kapitalistischen Weltwirtschaftsordnung ist zu einem, wenn auch immer noch mächtigen Staat unter den anderen Staaten herabgesunken. Trump zieht daraus die Konsequenz und positioniert ihn rigoros als Standortkonkurrenten. Das tut er ganz gezielt. Die neue Freundschaft mit Putin sagt nicht nur sehr viel über die politischen Vorstellungen Trumps aus, sondern auch darüber, dass er von Russland keine wirtschaftliche Gefahr für die USA ausgehen sieht. Eitelkeit und Größenwahn scheinen den sonst doch politisch recht schlauen Putin daran zu hindern, zu bemerken, dass aus der vermeintlichen Anerkennung nur Verachtung spricht. Trump ist so freundlich zu ihm, weil Russland kein ernstzunehmender Gegner ist. China ist da ein ganz anderer Fall. Das Land ist nachgerade ein Kapitalsog, seine Industrialisierungspolitik ist außerordentlich erfolgreich, bald droht es die USA als bedeutendste Wirtschaftsmacht abzulösen. Ähnlich gefährlich ist die EU mit ihrem weltweit zahlungskräftigsten Binnenmarkt. Ihr Schwachpunkt ist ihre instabile politische Konstitution. Des halb unterstützt Trump die Auflösungstendenzen, die sich derzeit in ihr geltend machen. Einer strikten Logik des „Teile und herrsche!“ folgend, glaubt er die hegemoniale Stellung der USA in der Welt nur noch dadurch retten zu können, dass er in bilateralen Deals deren Überlegenheit über jeden einzelnen anderen Konkurrenten ausspielt. Von offener Erpressung verspricht er sich größere Vorteile für die USA als von internationalen Abkommen. Was die früheren Verbündeten dementsprechend so an seinen protektionistischen Vorhaben schockiert – sonderbarerweise hat es der fleißige Dekretschreiber auf diesem Feld bisher bei Ankündigungen belassen –, ist, dass die Schutzmacht auch ihrer privilegierten Stellung aus der Phalanx des Westens auszubrechen droht. Wenn aber in einem Kartell jeder anfängt, sein eigenes Heil zu suchen, so ist das ein sicheres Anzeichen dafür, dass man sich in einer Krise befindet. Vielleicht lassen sich die Elenden, die in die kapitalistischen Metropolen fliehen, zum Teil aufhalten, das Elend wird sich in sie hinein zunehmend ausbreiten und die bestehenden staatlichen Strukturen auflösen. Dem muss mit verstärkter Repression und offenem Nationalismus entgegengewirkt werden. Die, die zu Hause noch mehr schuften müssen, sollen sich mit der Illusion trösten, es gehe ihnen schon besser, wenn es anderen noch schlechter geht. Denn eines muss um jeden Preis vermieden werden, nämlich dass die, die in das Land einwandern , weil sie hoffen hier für sich und ihre Familie in ihrem Herkunftsland ein Auskommen zu finden, und die, die die Globalisierung zu Hause in den USA ruiniert hat, sich solidarisieren.