Wann wird man je verstehen?

Geschichten, die der Kapitalismus schreibt. Eine Kolumne von Klein-Dombrobski

Gestern im Deutschlandfunk, versteckt zwischen anderen Kurzreportagen und verdeckt von den „großen“, angeblich weltbewegenden Nachrichten, konnte man ausgerechnet in der Sendung „Deutschland heute“ eine Kurzreportage über eine Textilarbeiterin aus Kambodscha hören. Sen Sophol heißt sie. Sie ist Gewerkschafterin und derzeit auf Tour durch Europa. Sie arbeitet 70 Stunden die Woche, verdient 100 Dollar im Monat, muss für ein winziges Zimmer, das sie mit anderen teilen muss, 50 Dollar zahlen. Was übrig bleibt, reicht nicht einmal für ihre Ernährung. Deshalb demonstrierten die Textilarbeiterinnen für einen Mindestlohn von 177 Dollar. Welch horrende Forderung! Aber die Gespräche darüber werden immer wieder aufgeschoben.

So weit – so schlimm. Man kennt das, hat es schon tausend Mal gehört, ohne dass sich irgend etwas änderte. Interessanter wird die Reportage in den letzten beiden Sätzen. Da erfährt man, dass der Lohn einer Näherin gerade einmal 0,4 Prozent der Kosten eines Kleidungsstücks ausmacht. Aber es sind natürlich die Verbraucher, die nach niedrigen Preisen und Schnäppchen jagen, die schuld sind daran, dass diese Arbeiterinnen Hunger leiden müssen, nicht die Unternehmer, die sie wie Zitronen auspressen. Übrigens: Würden die Hersteller ihren Werbeetat von 9 auf 8% senken, könnte Sen Sophol schon morgen das Dreifache verdienen. Aber würden sich die Arbeitgeber nicht so anstrengen, ihre Produkte an die Käufer zu bringen, könnten sie schließlich auch ihren Arbeiterinnen nicht solche wunderbaren Arbeitsplätze bieten. Und ist nicht alles gut, was Arbeit schafft?

Da möchte man nur noch mit Bob Dillon singen: Wann wird man je verstehen? Wann wird man je verstehen.

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