Eine verhängnisvolle Beziehung: Trump und das Irrationale

Das für unmöglich Gehaltene ist Wirklichkeit geworden. Ein Rassist, Sexist, Antiislamist, ein Mann, der bei seinen öffentlichen Auftritten zumeist durch cholerische Anfälle, Chauvinismus und Hassreden und weniger durch das Kundtun überzeugender und inspirierender politischer Progamme und Visionen die Aufmerksamkeit und letztlich auch die Mehrheit der Wählerstimmen auf sich zog, steht ab Januar kommenden Jahres an der Spitze der mächtigsten Demokratie und der mächtigsten Armee der Welt. Das Wahlergebnis in den USA stellt Francis Fukuyamas These, dass das Ende der Geschichte von der Durchsetzung von Liberalismus und Demokratie charakterisiert sei, ebenso in Frage, wie es den Zynismus in Niklas Luhmanns Diktum von der Legitimation durch Verfahren offenbart, und Jürgen Habermas‘ diskursethische Theorie des demokratischen Rechtsstaates, die auf der zentralen Annahme des Zusammenhangs von vernünftiger Kommunikation und politischer Legitimierung basiert, angesichts der brutalen Faktizität in den Bereich reiner Geltung verabschiedet. Habermas‘ Interpretation zufolge gewährleisten Demokratien u.a. die Freiheit, eine Meinung zu haben und diese auf verschiedene Weisen in einem öffentlichen Raum zum Ausdruck bringen zu können. Eine spezifische Form der Meinungsäußerung sind regelmäßige, freie, gleiche und allgemeine Wahlen, in deren Rahmen das für Demokratien konstitutive Verhältnis von Rationalität und Volkssouveränität seine bestmögliche Repräsentation findet. Nun musste nicht erst Trump gewählt werden, um die Aporie sichtbar werden zu lassen, die in der demokratietheoretischen Annahme der Gleichsetzung von Meinung und Rationalität sich zeigt. Theodor W. Adorno hat bereits in seinem 1960 gehaltenen Vortrag Meinung, Wahn, Gesellschaft den Zusammenhang von Unvernunft und öffentlicher Meinung herausgearbeitet. Er kommt darin, ausgehend von der Annahme, dass Meinung nicht in der Abwesenheit rationalen Bewusstseins bestehe, sondern als die noch von ihrem Gegenstand getrennte ratio zu begreifen sei, zu einer Einsicht, deren Relevanz gegenwärtig schmerzhaft erfahrbar ist: „Die Grenze zwischen der gesunden und der pathogenen Meinung wird in praxi von der geltenden Autorität gezogen, nicht von sachlicher Einsicht“. Und an einer späteren Stelle im Text: „Die Resistenzkraft der bloßen Meinung erklärt sich aus deren psychischer Leistung. Sie bietet Erklärungen an, durch die man die widerspruchsvolle Wirklichkeit widerspruchslos ordnen kann, ohne sich groß dabei anzustrengen. Hinzu kommt die narzißtische Befriedigung, welche die Patentmeinung gewährt, indem sie ihre Anhänger darin bestärkt, sie hätten es immer gewußt und gehörten zu den Wissenden. Das Selbstvertrauen der unentwegt Meinenden fühlt sich gefeit gegen jedes abweichende konträre Urteil“.

Einer der wesentlichen Gründe, warum Clinton die Wahl verloren hat, besteht darin, dass sie der Irrationalität der Wirklichkeit, jener der Lebenswelt der Mehrheit der us-amerikanischen Wähler_innen, aber auch jener, die sich in den Hassreden ihres Konkurrenten Bahn gebrochen hat, mit verhaltenem Optimismus und Reformen begegnen wollte. Andersherum gewendet: Trump hat die Wahl gewonnen, weil er die Irrationalität zur politischen Wahrheit und demokratisch legitimierbar machte. Verfolgungswahn und die Dämonisierung von Allem und Jedem, das nicht weiß und nicht männlich ist, ist plötzlich ein mehrheitsfähiges politisches Programm. Kurt Kister, Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, spricht in diesem Zusammenhang von Trump als schwarzem Künstler. Diesem sei der Aufstieg vom Showman zum Präsidenten der Vereinigten Staaten deshalb gelungen, weil er die Kunst des Populismus beherrsche, die darin bestehe, den Menschen aufs Maul zu schauen und dann danach zu reden, die Stimmungen aufzunehmen und diese dann in aggressive Reden umzusetzen.

Weithin geteilt wird auch die Analyse, dass Trumps Erfolg mit dem Angebot einfacher Lösungen für komplexe Fragen zusammenhänge. Eine dieser simplen Antworten ist sein Wahlslogan, Amerika wieder groß zu machen, welcher wie Balsam auf der Seele jener weißen Amerikaner_innen wirkte, die sich von dem politischen Establishment und der mit dieser verbandelten bzw. der von dieser korrumpierten Medienöffentlichkeit übergangen und belogen fühlen. Sie wollen weiter an den all american dream, an das Narrativ „Vom Tellerwäscher zum Millionär“ glauben. Insofern wird Trump auch nicht als der milliardenschwere Kapitalist wahrgenommen, der er ist. Unbeachtet bleibt die Tatsache, dass er sich eben jene gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse für die Akkumulation seines Reichtums zunutze macht, deren Leidtragenden die meisten seiner Wähler_innen selbst sind. Vielmehr gelingt es ihm, auf eindrucksvolle Weise ein Allgemeines zu verkörpern, in welchem sich die Mehrheit der Unvertretenen wieder repräsentiert fühlen kann. Nicht in den Werten der Freiheit und Gleichheit, nicht in den Institutionen der Demokratie, sondern in der singulären autoritären Person eines Mannes, erkennt die Mehrheit ihre Wahrheit: Die Großartigkeit des weisen Mannes.

Weite Teile der Bevölkerung fühlen sich von den Mitgliedern und Parteien des Parlaments nicht mehr vertreten, sie finden mit Claude Lefort gesprochen „keine symbolische Auflösung mehr in der politischen Sphäre“. Es kommt dann bei den Betroffenen zu Identifikationen mit dem „Phantasma des einen Einheitsvolkes“, der Vorstellung von einem einzigen „Gesellschaftskörper, der gleichsam mit dem Kopf zusammengelötet ist“. Für viele Menschen ist die Person Trump der repräsentierte Endpunkt der Suche „nach einer leibhaftigen, verkörperten Macht, einem Staat, der von jeglicher Teilung frei wäre“.

Leforts Überlegungen zum politischen Körper können auch weiterführend sein, wenn es um die Frage geht, warum der Nationalismus jene hegemoniale Ideologie, den amerikanischen Patriotismus, der für die US-amerikanische Gesellschaft historisch und in der Gegenwart konstitutive und integrative Bedeutung hat, abzulösen droht. Im Gegensatz zur Geschichte europäischer Nationalstaaten, deren Identität an Vorstellungen eines zu verwirklichenden, erhaltenden oder wiederherzstellenden organischen und genealogischen Ganzen, das Volk, gebunden ist, bringt der US-amerikanische Patriotismus primär die Absicht einer gemeinsamen sozialen Ordnung in einer durch Einwanderung geprägten Gesellschaft zum Ausdruck. In der Unteilbarkeit des Körpers von Trump manifestiert sich die Projektion einer Sehnsucht nach der Unteilbarkeit des Politischen und des Sozialen, in dem weißen Mann imaginiert sich der Wunsch nach Widerspruchslosigkeit und Einheit.

Ein Spezifikum von Wünschen und Sehnsüchten besteht darin, dass sie allzu oft im Geheimen bleiben bzw. erst als solche sagbar werden, wenn sie sich erfüllt haben und nicht, wenn eine freundliche Stimme am Vorabend der Wahlen anruft, um noch einmal nachzuhorchen, wen die angerufene Person denn zu wählen gedenke. Wie ist es sonst erklärbar, dass entgegen aller US-Wahlprognosen nicht die designierte Gewinnerin Clinton, sondern Trump nun ins Weiße Haus einziehen wird. Am Beginn des Wahlabends hatte FiveThirtyEight, die Webseite von Nate Silver, jenes Mannes, der die Wahlergebnisse von 2008 und 2012 genau vorhergesagt hatte, Clinton eine Gewinnchance von 78 Prozent, gegenüber 24 Prozent für Trump eingeräumt. Die New York Times ging gar von einer 85-Prozent-Siegchance für Clinton aus. Der bereits genannte Adorno wies allerdings schon in seinem Aufsatz Zur Logik der Sozialforschung darauf hin, dass unzählige soziologische Untersuchungen dazu verurteilt seien, dadurch irrelevant zu werden, dass sie dem Primat der Methode und nicht demjenigen des Gegenstandes gehorchen. Von dieser „Verselbstständigung der Methode gegenüber der Sache“ sind auch Wahlprognosen betroffen. Sie gehen davon aus, dass eine Wahrheit in der öffentliche Meinung liegt, zu der es mittels des richtigen Einsatzes statistischer Methoden einen methodisch kontrollierbaren Zugang gibt. Während der einfache Menschenverstand auch ohne wissenschaftlich abgesicherte statistische Verfahren dieselbe Prognose gestellt hätte – spätestens als die New York Times wenige Tage vor der Wahl, Interviews mit Frauen veröffentlichte, in denen sie Trump sexuelle Belästigung vorwarfen, schien ein Wahlsieg kaum noch möglich -, hat die Meinungsforschung die einfachste Wahrheit nicht bedacht: Menschen lügen. Mitunter wird die Lüge auch zum Massenphänomen. Lügen bezeichnen den Moment, in dem Sprechen und Handeln, Aussage und Meinung in Widerspruch geraten. Dies ist jedoch nicht allein ein subjektiver Widerspruch, sondern auch der Ausdruck des objektiven Antagonismus‘. So ist das Scheitern der Prognosen kein zufälliges Abweichen oder ein statistischer Messfehler, der durch eine Anpassung der Methode in der Zukunft bereinigt werden kann. Es liegt in der Sache selbst. Empirische Sozialforschung kann den Widerspruch nicht beschreiben, der sich im Subjekt als verinnerlichte Gesellschaft niederschlägt, der dafür verantwortlich ist, dass seine Entscheidungen und Handlungen niemals souverän und rational sein können. Dieses Nichtidentische macht es jeder Meinungsforschung unmöglich aus dem Sein ein Werdendes prognostisch abzuleiten. Dem Subjekt ist die Unmöglichkeit des Rationalen, die sich auch durch die valideste und objektivste Methode nicht aus der Welt schaffen lässt, stets immanent. Wer angesichts der tiefen Zerissenheit der US-amerikanischen Gesellschaft in Bezug auf politische und gesellschaftliche Grundauffassungen an einen Sieg der Vernunft geglaubt hat, verfällt derselben Irrationalität, die Trump den Sieg gebracht hat.

Eine besondere Rolle in diesem Drama der Irrationalität spielt die weiße Frau. Es wurde davon ausgegangen, dass keine Frau einen Mann wählen kann, der Frauen mit dieser Offenheit verdinglicht und degradiert. Zugleich wurde nicht für möglich gehalten, dass eine Mehrheit der weißen Frauen eine andere Frau nicht wählt, eben weil sie eine Frau ist. Beides ist jedoch passiert und schlägt sich in dem Votum der 53 Prozent der weißen Frauen nieder, die für Trump stimmten, bei weißen Frauen ohne College-Abschluss konnte Trump sich sogar mit 62 Prozent durchsetzen. Aber auch wenn es für viele unmöglich erschien, überraschen kann es nicht, insofern Menschen ihre Wahlentscheidung selten von biologischer Übereinstimmung abhängig machen, aber umso häufiger aus einem gesellschaftlich vermittelten Bewusstsein heraus fällen – und diese Gesellschaft ist sexistisch, chauvinistisch, patriarchal. Kathrin Werner analysiert in der Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung, dass es bei der Wahl für viele Frauen nicht in erster Linie um die Geschlechterfrage ging. Im Gegenteil: „Die Solidarität unter Frauen ist nicht sehr groß, Feministin ist für viele Amerikanerinnen ein Schimpfwort, es gibt deutlich mehr Brüderlichkeit als Schwesterlichkeit. Weiße Frauen sind in erster Linie weiß und in zweiter Linie Frauen – und schlossen sich bei der Wahl darum ihren frustrierten weißen Vätern, Brüdern und Männern an“, schreibt Werner. Im Vordergrund standen für sie dieselben irrationalen Bedrohungsszenarien, mit denen Trump schon die Mehrheit der angry white men erfolgreich für sich einnehmen konnte: Zusammenbruch der Wirtschaft, Verlust des Arbeitsplatzes, Islamisierung der Gesellschaft, bundesweite Ermöglichung gleichgeschlechtlicher Ehen, die Liberalisierung der Abtreibungsgesetze.

Es ist nun die Ironie der Geschichte, dass Trumps Sieg von vielen seiner Wähler_innen mit dem Anspruch verbunden ist, all das Fremde, Unbekannte und Unkontrollierbare fernzuhalten, zu beseitigen und in den Griff zu bekommen, von dem sie sich bedroht fühlen. Das wirklich Fremde, Unbekannte und Unkontrollierbare ist jedoch Donald Trump selbst. In der Möglichkeit dieser Einsicht besteht gegenwärtig die einzige Hoffnung. Auf den Straßen, in den Feuilletons, an den Universitäten und in den sozialen Medien bündeln sich gesellschaftliche Kräfte, um das Irrationale zu entzaubern, die Mehrheit von seinem Bann zu befreien, um am Ende vielleicht doch das Unmögliche möglich zu machen.

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