Sprachliche Onanie

Wozu nützt aber auch eine prüde Moralität, Sittenstrenge oder Keuschheit für junge Mädchen und junge Frauen, die von der Allmutter Natur doch lediglich und allein zur Liebe und zum Lieben geschaffen sind? […] Ist denn die Liebe ein Verbrechen und darf man denn nicht… zärtlich sein?“ [de Sade; 1795/2010: 302 f.]

Diese 1795 formulierte Frage des Marquis de Sade geht mit ihrer Antwort bereits schwanger: Nein, die auf Zärtlichkeit basierende Liebe kann doch niemals ein Verbrechen sein, sie ist doch…zärtlich!
Zärtlichkeit und Liebe, als Wesen des Natürlichen, dienen somit in de Sades Argumentation als Legitimation sexueller Phantasien, grenzenloser Begierden, schamloser Handlungen und Gewaltgelüsten. Aus Liebe „zum Menschengeschlecht, aus Liebe zu Frauen, aus Liebe zum Vaterland“ könne fast alles vollzogen werden; es könne kein Verbrechen intendiert sein. Die sexuelle Handlung wird zum Politikum: Sexuelle Tabus sollen nicht nur durchbrochen, sondern die dadurch freigesetzten Begierden sollen gesättigt und auf der Grundlage einer damit erlangten Triebbefriedigung ein modernes, liberales Staatswesen aufgebaut werden. Eine Gesellschaft „ohne legitime Väter“ – die eindeutige Vaterschaft könne durch den ungezügelten, von Gesetzen und Tabus befreiten Sexualtrieb nicht nachverfolgt werden – schaffe dabei ihren sozialen Zusammenhalt durch die gemeinsame Liebe zur Mutter aller Menschen (Natur) und die Liebe zum Vater aller Staatsbürger (Vaterland). Unter dieser Prämisse könne eine gelebte Brüderlichkeit die Basis des Sozialen sein, die Verschwägerung der Menschen untereinander werde durch den Akt des Liebesvollzug bezeugt, sie dabei im Kampfe für das eine Gemeinsame vereint: Das Vaterland. Seine Dienerin: Die Liebe. Ästhetische Form: Ekstatisch-orgastisch verschlungene Körper.
Dieses Verhältnis zwischen Staatlichkeit und Sex wurde vor gut 200 Jahren von de Sade als Kritik gegenüber „zeitlich überholten“ Sittengesetzen des Ancien Regime, der verdorbenen Moralität (da diese auf der Unterdrückung der Triebe beruhe) sowie der Ökonomie der Begrenzung (Monogamie, Ehe, Sexualpraktiken) formuliert. Die amerikanische Präsidentschaftswahl bietet sich an, als Beispiel betrachtet zu werden, in welchem das Verhältnis zwischen Sex, Staat und Gesellschaft auf einem öffentlichen Schauplatz beleuchtet wurde: Das massige Publikum wartend, lungernd auf den Skandal, eine Möglichkeit ersehnend, alle „Bedenken“ für einen Moment zu vergessen – im gemeinsamen Lachen den amerikanischen Widerspruch zwischen Entblößung und Verhüllung vertuschend. Die diesem Verhältnis zwischen Sex und Staat zugrundeliegende Frage nach der Unterdrückung oder dem Ausleben der menschlichen Triebe („Todestrieb meets Eros“) berühren die Grenzen zwischen (sexuellem) Tabu und Erlaubnis sowie Phantasie und Realität. Im Folgenden soll – inspiriert von den Ausführungen der LIBERTÄREN GAZELLE zur Irrationalität als Moment der amerikanischen Präsidentschaftswahl sowie dem Hinweis der SCHRITTMACHERIN zur sexuellen Differenz als dem Spiel zwischen Demütigung und Befriedigung des Akteurs Donald Trump – das Verhältnis zwischen Sex, Staat und Tabu zusätzlich zu seinem Statement aus dem Jahr 2005 an einem weiteren Beispiel betrachtet werden. Doch zuerst die Wiederholung: „I’m automatically attracted to beautiful [women] – I just start kissing them. It’s like a magnet. Just kiss. I don’t even wait. And when you’re a star they let you do it. You can do anything … Grab them by the pussy. You can do anything“(Trump, 2005).1 Diese Aussage verlangt geradezu danach zu fragen, wer diese Frauen sind, über die bestimmend gesprochen wird, welche sexuellen Phantasmen das Sprechen bestimmen und wer hier eigentlich wen begehrt, befriedigt und sucht? Es sind nicht nur unbekannte Frauen, über die Trump einmalig spricht; in denen er sich sprachlich wiederholend sucht, verlangend danach, sich selbst in ihnen zu spüren – seinen Humor im Witz, seine Leidenschaft in der Begierde, seine Dekadenz in der Profanität des Selbst – in denen er über seine Projektion von sich hinausschreiten kann. Beispielhaft…:

|| Die Nahe:

In einem Interview mit dem Rolling Stone Magazin von 2015 wird über Trumps Tochter, Ivanka, gesprochen. Der Interviewer stellt fest: “Can I say this, she is a piece of ass.“ Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten: „Yeah, she’s really something, and what a beauty, that one if I weren’t happily married and, ya know, her father…“.2
Die Mischung dieses Satzes, der eine Grenze des Sagbaren berührt, sie im selben Moment jedoch durchbricht, verhandelt nicht die sexuelle Autonomie der Tochter, sondern die Donald Trumps. Er, der Vater, er ist derjenige, der über das Wie des Gesprochenen verfügt, es erlaubt, und dabei Attraktivität bestimmt, den sexuellen Maßstab des eigenen sexuellen Phantasmas teilend. Die Verdichtung seiner Tochter zu einer zirkulierenden Männerphantasie wird dabei als Kompliment für die Tochter ausgelegt. Dabei impliziert der Satz Trumps eine zweifache Erlaubnis: Durch die Affirmation der Aussage des Interviewers erlaubt er diesem, seine Tochter als Sexualobjekt zu betrachten, gleichzeitig legitimiert er durch diese Erlaubnis seinen eigenen grinsend-verlangenden, sexuellen Blick auf sie und wird dabei vom Lachen und Klatschen des Publikums von seiner eigenen Frivolität berauscht. Die konkrete Anerkennung der Tochter „als Männertraum“ von Seiten des Moderators zeigt sich als schaffende Realität: Die eigene Potenz fühlt sich bestätigt – Investition als das Lohnende. Es entspricht einer potenten Wirtschaftsprognose: In den eigenen Markt investieren lohnt sich, sei Kapitaleigner und Investor. Augenblicklich beginnt der Rausch des Blickes; die Zirkulation, das Verhaften, das Eindringen. Sein Blick auf seine Tochter ermöglicht das Blicken auf alle Frauen, sein Selbst in ihnen suchend. Begrenzend wirkt auf das sexuelle Verlangen nach sich selbst die „Ehe“, als das durch Investition geschaffene self-made Glück der rechtlichen Verpflichtung. Beiläufig: die Vaterschaft. Die Sehnsucht nach Erfolg, nach Ruhm, nach Geld, nach Macht und überhaupt nach „dem Eigenen“ manifestiert sich hierbei auf sprachlicher Ebene in dem Begehren, das in diesem Satz zum Ausdruck kommt: Das sich nach sich selbst sehnende Selbst sieht sich durch das eigene im „eigenen“ Anderen ermächtigt, erhitzt: dem bodenlosen Rausch nach sich selbst stattgebend, wartend auf den Anlass der Erlaubnis, ein Tabu zu berühren, um sich selber näher zu kommen – abgrundtief, aber niemals dem gesellschaftlichen Abgrund nahe. Das Gesagte gibt der Phantasie ihren Platz: Sie zirkuliert – schneller und schneller – im Ausbruch des Aktes der sprachlichen Onanie.

|| Die Wünschenden – „Women vote Trump“

Im Zweifelsfall werden seine Aussagen über seine Tochter mit einem kindlichen Verlangen naturalisiert, apotheotisch gelesen und verehrt, wie festgestellt werden kann, wenn man sich die Kampagne „Women vote Trump“ anschaut. Der Internetauftritt dieses amerikaweiten Kollektivs von Trump-Befürworterinnen hinterlässt ein klares Statement: „The ‚Women Problem‘ is a Myth“ verziert die geschlechtergerechte blau-pinke Internetseite als Überschrift des Positionspapiers. Fesh und Fresh ist der Auftritt, ja nahezu frech (ein pinker Pump verziert die Domain der Website). Verständnisvoll werden Trumps (chauvinistische, sexistische und rassistische) Aussagen mit der Authentizität seiner Person legitimiert, die wahrlich wahrhaft am echtesten ist – er würde nicht von einem TelePromTer seine Reden ablesen – nein, die Emotion stehe im Vordergrund. Ein maschinelles System der Ratio wird als Lüge der Souffleuse entlarvt – als eine Kritik der entfremdenden Technik. Unter Rekurs auf ein „Weiblich-Verständnisvolles“ wird die sprachliche Impulsivität entschuldigend legitimiert: Er sei so echt, er könne nicht anders. Mütterlich-liebend wird bemerkt: „Yeah, we know he sometimes says things that get him in trouble…” Wunschträumend wird geäußert: “We look at his actions, not his words.”3 Die Trennung des Gesagten von seiner Handlung. Vergessen wird dabei, dass der sprachliche Ausbruch selbst eine Handlung ist – durch welchen ohne einen konkreten Vollzug dennoch etwas vollzogen wird. Die Legitimation richtet sich also sowohl auf die unbedeutenden Worte, als auch auf den Akt des Sprechens (als Action), durch den Trump in den Augen dieses weiblichen Kollektivs seine Authentizität, in Form von impulsiven Ausbrüchen, demonstriert. Die Aussage dahinter: Konkrete Taten zählen mehr als Worte.

|| Befriedigung!

Die amerikanische Präsidentschaftswahl ermöglicht eine Begegnung der unausgesprochenen Begierden: Auf die Sehnsucht nach einem Handelnd-Männlichen, das keiner Worte bedarf, trifft die Sehnsucht nach einer weiblichen Hingabe (denn nur in der Hingabe finde die Frau ihre Bestimmung), welche begehrend die männlichen Aktionen antizipiert und bedingungslos empfängt. Trumps Blick auf eine konkrete Frau (die Tochter) wird dabei zum Blick auf alle Frauen, die, symbolisch, als das Unbefriedigte der Gesellschaft durch ihn Befriedigung erhoffen und erfahren.
Aus welcher (symbolischen) „Position“ heraus die Befriedigung stattfindet, dazu vermag in diesem Beitrag keine Antwort gefunden zu werden. Spekulativ lässt sich fragen: Ist Trump der Vater (als das Vaterländliche), der seinen Kopf zurückerobert, ihn gar zurückgeschenkt bekommen hat und sich im Akte des Wachens über alle letztlich selbstbefriedigt? Bleibt der Vater tot und wird es dadurch möglich, das unschuldig-sittliche Gesetz zwischen Bruder und Schwester á la Hegel zu durchbrechen – Trump der Bruder aller Frauen, alle Männer seine Brüder? Ein Gleiches suchend und im Kollektiv Befriedigung erfahren? In beiden Fällen wäre mit de Sade zuschließen: „Wie konnten doch die Gesetzgeber so einfältig und borniert sein, gerade denen, die von Natur durch ihre Blutsverwandtschaft oder ihre Blutsbande am meisten prädestiniert und dazu berufen sind, einander am meisten zu lieben, dies nicht zu gestatten?“ [de Sade, 1795:2010: 306]
Stimmt, da war ja noch was. Vernunft und ähm… Moral.

3http://womenvotetrump.com/ [Stand:24.11.2017]

 

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