Offener Brief an Bodo Ramelow

Lieber Bodo Ramelow,

wir beschäftigen uns normalerweise nicht mit dem Klein-Klein der Parteipolitik, mit ihrem Geschacher und ihren Winkelzügen, auch überlassen wir die Kaffeesatzleserei in irgendwelchen Wahlumfragen gerne der Mainstream-Journaille. Aber im Fall Thüringen und für Sie wollen wir eine Ausnahme machen.

Erinnern Sie sich an Brechts Lied von der Tünche? Wenn nicht, hier ein Ausschnitt aus dem Text:

„Ist wo etwas faul und rieselt‘s im Gemäuer
Dann ist‘s nötig, daß man etwas tut
Und die Fäulnis wächst ganz ungeheuer.
Wenn das einer sieht, das ist nicht gut.
Da ist Tünche nötig, frische Tünche nötig!
Wenn der Saustall einfällt, ist‘s zu spät!
Gebt uns Tünche, dann sind wir erbötig
Alles so zu machen, daß es noch mal geht.“

In Brechts Sinne bitten wir Sie: Widerstehen Sie der Versuchung, uns den aufrechten Landesvater und Retter Thüringens zu geben. Schließen Sie sich der Forderung nach sofortigen Neuwahlen an! Thüringen wird ein paar Wochen ohne funktionsfähige Regierung auskommen. Und auch ein Herr Kemmerich kann allein keinen großen Schaden anrichten. Es ist nicht Ihre Aufgabe, die auf den Hund gekommene etablierte Parteienlandschaft notdürftig am Leben zu erhalten. Mimen Sie nicht den Malermeister, der über ihre Risse Farbe schmiert – „daß es noch mal geht“. Denken Sie auch an die triste Geschichte der SPD, deren Vertreter, aus Angst für vaterlandslose Gesellen zu gelten, seit sie anno dazumal Kriegskrediten zustimmten, immer wieder – bis hin zur derzeitigen großen Koalition – denselben Fehler wiederholen, aus vermeintlicher staatsmännischer Verantwortung heraus die nützlichen Idioten für die sogenannten bürgerlichen Parteien zu spielen. Die haben in der bisherigen Konstellation abgewirtschaftet und man muss ihnen keine Atempause gönnen, um sich zu erholen.

Wir ahnen, was Sie uns darauf entgegnen wollen: Dass die AFD noch mehr Stimmen bei einer bald anstehenden Neuwahl gewinnen könnte. Diese Gefahr besteht, das können und wollen wir nicht leugnen. Aber Angst ist kein guter Ratgeber. Und selbst wenn Neuwahlen zu erreichen, zum Kalkül Höckes gehörte, bedeutet das noch lange nicht, dass es auch aufgeht. Man muss die Faschisten nicht schlauer machen, als sie sind. Vor allem wird man sie aber nicht besiegen, indem man die bestehenden politischen Verhältnisse irgendwie aufrecht erhält, sondern nur indem man sie verändert. Dazu bedarf es eines gewissen Mutes. Ein Risiko muss man eingehen.

Und ist es wirklich so groß? Unseres Erachtens hat die AFD ihr Wählerpotential weitgehend ausgeschöpft. Es ist durchaus möglich, dass sie noch ein paar Prozentpunkte hinzugewinnt, aber so stark wie eine Koalition aus Linken, SPD und Grünen wird sie nicht werden. Die müssen nur zusammenhalten, aber das scheint ja in Thüringen zu klappen. Die FDP wird schlicht aus dem Landtag verschwinden. Die CDU wird Stimmen verlieren. In welchem Ausmaß ist nicht klar, aber es werden einige sein. Viele derer, die nicht zur Höcke-Partei wechseln wollen, werden wahrscheinlich nicht wissen, was sie wählen sollen und zu Hause bleiben, manche werden vielleicht den Kompromiss suchen, der SPD ihre Stimme zu geben. Die Arithmetik wird sich verändern und mit ihr auch die gesamte Konstellation.

Denn Ihnen, Herr Ramelow, bietet sich im Moment die einmalige historische Chance, die CDU parteipolitisch zu isolieren. Und das ist notwendig. Denn dass das sogenannte bürgerliche Lager, wenn es gegen die Linken geht, angetrieben von hysterischer Angst vor jedwedem sozialen Fortschritt und dem unbedingten Willen seine Machtpositionen zu verteidigen, immer bereit ist, der Barbarei den Vorzug zu geben und mit den Faschisten zu paktieren, hat es ja gerade wieder einmal unter Beweis gestellt. Und wenn Sie diese Gelegenheit in Thüringen nutzen, kann das auch auf die Bundesebene ausstrahlen: Die FDP wird es auch dort bald nicht mehr geben oder sie wird zu schwach sein, um einen geeigneten Partner für die CDU abzugeben, mit der AFD kann die zumindest in der derzeitigen Situation nicht zusammengehen, die SPD weiß inzwischen, dass Koalitionen mit der CDU ihr sicheres Ende bedeuten und mit den Linken will die CDU sowieso nicht. Bleiben nur noch die Grünen. Und die könnte das Vorbild Thüringen dazu veranlassen, ihren unsäglichen Annäherungskurs an die Konservativen zu revidieren. Packen Sie den günstigen politischen Augenblick beim Schopfe und stimmen auch Sie für sofortige Neuwahlen!

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