Die heilsame Wirkung des Coronavirus

Deutschlandfunk, die Sendung „Forschung aktuell“ am 7.2.2020, Volker Wildermuth berichtet davon, dass vor einigen Tagen erste Proben von bayrischen Patienten, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben, am Institut für Virologie der Charite´ in Berlin eingegangen seien. Dort wird nun in einem Hochsicherheitslabor das Virus isoliert, Grundlage dafür, dass es selbst und seine Wirkungsweise erforscht und im Anschluss daran Therapien oder Impfstoffe entwickelt werden können.

Zu solcher Forschung kommen jedoch Christian Drosten, der Leiter des Instituts, und sein Team derzeit nicht, denn er und seine Mitarbeiter sind im Moment völlig damit ausgelastet, das Virus zu isolieren und dann an möglichst viele Forschungsinstitute zu verschicken, um durch gemeinsame Anstrengungen schnell Fortschritte im Kampf gegen die Erkrankung zu erzielen. Der naive Hörer mag das für ein ganz normales wissenschaftliches Vorgehen halten. Ist es aber nicht, wie sich einer recht erstaunlichen Bemerkung von Christian Drosten entnehmen lässt: „Wir statten – natürlich will man das so sehen – unsere Konkurrenten mit essenziellen Vorsprüngen aus, die wir uns eigentlich selber sichern müssten, im normalen wissenschaftlichen Wettbewerb. Ich habe aber das Gefühl, dass wir in dieser jetzigen Situation diesen Wettbewerb einfach mal über Bord schmeißen müssen.“

Nur einer Ausnahmesituation und einem Arzt, der sich noch an seinen hippokratischen Eid erinnert, statt als Direktor an die wirtschaftliche Zukunft seines Instituts zu denken, haben wir es zu verdanken, dass nun alle verfügbaren Kräfte eingesetzt werden, Menschenleben zu retten. Was soll man daraus schließen? Im heutigen Wissenschaftsbetrieb gilt inzwischen offensichtlich als außergewöhnlich, wenn Wissenschaftler ihr Wissen verbreiten und andere Institute einbinden, um den Fortschritt der Wissenschaft voranzutreiben. Normal scheint es hingegen zu sein, Proben von Patienten, die man nicht einmal selbst genommen hat, wie Eigentum zu behandeln und die daraus gewonnenen Erkenntnisse unter Verschluss zu halten, um dem eigenen Institut einen Wettbewerbsvorteil in der Forschung zu verschaffen. Unterm Konkurrenzprinzip regrediert die Wissenschaft auf den Stand mittelalterlicher Geheimlehren. Das seiner Form nach allgemeine Wissen muss künstlich verknappt werden, um es ordentlich verwerten zu können.

Selten findet man prägnanter als in dem einen Satz des Institutsleiters Christian Drosten formuliert, wie sehr die ökonomischen Verhältnisse dem wissenschaftlichen Fortschritt entgegenstehen, wie sehr sie ihn inzwischen lähmen. Da wir jedoch, wie allenthalben behauptet wird, in einer Wissensgesellschaft leben, da das an sich allgemeine Wissen als die entscheidende Produktivkraft anerkannt ist, und da Kooperation es voranbringt, Konkurrenz jedoch seine Entwicklung hemmt, können wir uns den Luxus solch irrwitziger Verhältnisse eigentlich nicht länger leisten. Wenn aber das Coronavirus ganz normale Menschen wie den Arzt Christian Drosten dazu veranlasst, sich über sie hinwegzusetzen, kann man sich nicht ganz dem leider doch auch zynischen Gedanken verschließen, dass seine heilsame Wirkung den Schaden überwiegen könnte, den es anrichtet.

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