Ökonomie des Mobilfunks – 3 mangelhafte statt eines flächendeckenden Netzes

Geschichten, die der Kapitalismus schreibt. Eine Kolumne von Klein-Dombrobski

Die armen Politiker haben es mit ihren unvernünftigen Bürgern nicht leicht – wie beim Aufbau von Windrädern, so auch bei dem von Funkmasten. „Alle wünschen sich eine leistungsstarke und flächendeckende Mobilfunkversorgung. Aber mitunter scheitert der Ausbau von Standorten für Mobilfunkmasten an Widerständen vor Ort.“ So heißt es im Papier zur Mobilfunkstrategie der Bundesregierung. „Grund dafür seien häufig Vorbehalte gegen Mobilfunkmasten – aus optischen Gründen oder aus Sorge vor zusätzlicher Strahlenbelastung.“ Deshalb will die Regierung eine „Kommunikationsinitiative“ starten, um mehr Akzeptanz und Verständnis für die notwendigen Infrastrukturmaßnahmen zu erreichen. Schließlich müssen Tausende von neuen Standorten erschlossen werden, sollen die weißen Flecken in der Mobilfunklandkarte verschwinden. Dazu will der zuständige Minister für Verkehr und digitale Infrastruktur Andreas Scheuer auch die Genehmigungsverfahren beschleunigen. Ein Schelm, wer dabei denkt, dass solche Entbürokratisierung nur der Beschränkung von Kontroll- und Einspruchsmöglichkeiten der Bürger dienen könnte.

Dabei verdanken die das Problem, dass es so vieler Standorte bedarf, vorrangig dem allgemein verbreiteten Glauben an die allein selig machenden Wirkungen des Wettbewerbs. Denn jeder der 3 großen Mobilfunkanbieter Telekom, Vodaphone und Telefonica betreibt sein eigenes Netz, d.h. jeder baut und unterhält seine eigenen Basisstationen. Wer soll es da dem „Bürger“ übel nehmen, dass der sich spätestens beim 3. Funkmast in seiner unmittelbaren Umgebung fragt, ob das denn wirklich sein muss. Aber die scheußlichen Masten sind nur die sichtbare Spitze des Eisbergs. Die Basisstationen müssen schließlich ans eigene Glasfaserkabelnetz angeschlossen werden, das jeder Betreiber selbstverständlich erst einmal verlegen muss. Denn auch Mobilfunk funktioniert übers Festnetz. Es geht also nicht nur um hässliche Funkstationen, sondern um die ganze Netzinfrastruktur. Teuer macht denn auch die Versorgung der berühmten weißen Flecken, dass oft der Anschluss aufwendig ist. Trotzdem genügt ein Netz nicht, sondern man braucht gleich 3 technisch ziemlich ähnliche Netze. Und weil keiner ihrer Betreiber ein gesteigertes Interesse hat, die berühmten weißen Flecken zu beseitigen – entweder weil sowieso zu wenige Menschen dort leben, die seine Dienste nutzen und vor allem bezahlen würden, oder weil aufgrund der Konkurrenz zwischen den Anbietern zu wenige von ihnen zu seiner Kundschaft zählen – , ist dennoch kein flächendeckendes Angebot in Aussicht.

Nun könnte man dieses Problem selbst unter den gegebenen Bedingungen durch eine Verpflichtung zu einem sogenannten „National Roaming“ lösen. Dabei heißt „National Roaming“, dass ein Anbieter den Sendemast eines anderen Anbieters dort nutzt, wo es sich für ihn nicht lohnt, einen eigenen aufzustellen. Aber dagegen sperren sich die etablierten Netzbetreiber, denn das hieße ja, dass andere von ihren Investitionen profitieren könnten und würde möglichen neuen Konkurrenten den Einstieg ins lukrative Mobilfunkgeschäft erleichtern, die die Kosten für den Aufbau einer eigenen Netzinfrastruktur bisher wirkungsvoll abschrecken. So sind Telekom, Vodaphone und Telefonica zwar zu freiwillligen Kooperationen bereit, weil mit denen die eigenen Investitionskosten gesenkt werden können, aber von einer Verpflichtung wollen sie nichts wissen. Telekom-Chef Tim Höttges droht denn auch vor seinen Aktionären mehr oder weniger unverhohlen: „Wenn der Gesetzgeber ein «National Roaming» oder ein lokales Roaming einführt, prognostiziere ich Ihnen das Ende des ländlichen Ausbaus der Mobilfunkversorgung.“ Und der Telefonica-Deutschlandchef Markus Haas glaubt gar, dass verpflichtendes Roaming einer Enteignung gleichkäme.

Das ist natürlich kompletter Unsinn, denn die Netzbetreiber könnten sich eine Miete für die Nutzung ihrer Masten zahlen lassen. Die großen Drei fürchten eher um ihren Konkurrenzvorteil. Denn warum sollte man sein Netz noch weiter ausbauen, wenn man Kunden nicht mit den Vorteilen eines besseren Netzes ködern kann? Einfacher wäre es dann aus Sicht der Betreiber, abzuwarten und das Netz der Konkurrenz nutzen. Aber weil die genauso denkt, würde wohl keiner mehr investieren. Das glauben anscheinend auch die Mitarbeiter in den Unternehmen. Denn die Chefs der Netzbetreiber werden von ihren Betriebsräten vorbehaltlos unterstützt. Die warnen in einem „Brandbrief“ die Fraktionsvorsitzenden von CDU und SPD davor, dass „National Roaming“ den Netzausbau hemmen und zu Lohndumping in der Branche führen könnte, und behaupten: „Die Pläne zum lokalen Roaming gefährden eine fünfstellige Zahl an Arbeitsplätzen.“

Dass die Ablehnung eines Roaming allerdings vor allem der Festigung des bestehenden Oligopols dient, sieht auch das Bundeskartellamt so. Entgegen dem Märchen vom harten Wettbewerb auf dem Mobilfunkmarkt hält es in seiner Stellungnahme zur Vergabe der Frequenzen für das neue 5G-Netz ernüchternd fest: „Bereits derzeit ist der Wettbewerb im Mobilfunkbereich gedämpft. Die drei großen Mobilfunknetzbetreiber Telekom, Vodafone und Telefónica nehmen eine starke Position im Endkundenmarkt und insbesondere in den Vorleistungsmärkten ein. Zwar können Diensteanbieter durch die Diensteanbieterverpflichtung für 2G/3G-basierte Vorleistungen jedenfalls beim Angebot von Tarifen mit niedrigen Datenraten in einem begrenzten Umfang einen preislichen Wettbewerbsdruck ausüben. Einen vergleichbaren preislichen Wettbewerbsdruck seitens der Diensteanbieter im Bereich von LTE-basierten Produkten (heutiger 4G-Standard, Anm. des Autors) scheint es hingegen nicht zu geben. So zeichnen sich die für Kunden in Deutschland verfügbaren Daten-Tarife für höhere Datenvolumen sowie Geschwindigkeiten im Vergleich zu vielen europäischen Nachbarländern durch höhere Preise und schlechtere Konditionen aus. Eine Ursache hierfür dürfte der für Dritte faktisch nur sehr begrenzt bestehende Zugang zu LTE-basierten Vorleistungsprodukten sein.“ Das Kartellamt drängte deshalb bei der Auktion für die 5G-Frequenzen die Bundesnetzagentur, Bedingungen zu schaffen, die es einem vierten Betreiber erleichtern, in den Markt einzusteigen. Dazu könnte seiner Auffassung nach auch ein verpflichtendes Roaming gehören. Allerdings nur übergangsweise und zeitlich begrenzt, bis der Vierte im Bunde die Möglichkeit hatte, eine eigene, nun die vierte Netzinfrastruktur aufzubauen. Denn auch „aus kartellrechtlicher Sicht ist stets wichtig, dass der Infrastrukturwettbewerb grundsätzlich jedenfalls dort erhalten bleibt, wo er sinnvoll bzw. im Rahmen des Wettbewerbs zu erwarten ist.“ Weil in der Phase des Spätkapitalismus die Märkte längst von Monopolen beherrscht oder unter Oligopolen aufgeteilt sind, muss gemäß neoliberalem Credo der Staat künstlich Wettbewerb, wo immer möglich, inszenieren.

Aber was sollte daran sinnvoll sein? Was ist daran, dass man 3 oder gar 4 ähnliche Netze aufbaut, von denen keines den Zweck, eine flächendeckende Mobilfunkversorgung zu gewährleisten, erfüllt, auch nur ökonomisch? Hat das noch irgendetwas mit einem effizienten Einsatz von Mitteln und Ressourcen zu tun oder ist es, wie ein Kommentator im Netz bemerkt, eigentlich nur noch bescheuert? Und diesen Skandal würde auch ein „National Roaming“ nicht aus der Welt schaffen. Aber kein Ökonom, kein Journalist und erst recht kein Politiker kommt auch nur auf die Idee, diese Frage zu stellen. Sie ist einfach zu naiv für die Experten. Wer so fragt, hat immer noch nicht kapiert, dass eine kapitalistische Wirtschaft weder auf den Bedarf noch auf einen angemessenen Einsatz produktiver Kapazitäten, sondern ausschließlich auf Profitmacherei ausgerichtet ist – koste es, was es wolle. Was ihr dient, das ist ökonomisch, selbst wenn es völlig sinn- und zwecklose Verschwendung bedeutet.

Und weil das diesen blöden Bürgern einfach nicht so richtig in den Kopf will, müssen die Politiker umständliche Kommunikationskampagnen erfinden und ihnen überflüssige Zugeständnisse machen. Deshalb sieht die Mobilfunkstrategie von Minister Scheuer nun vor, eine bundeseigene Gesellschaft zu gründen und mit rund 1,1 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen „Digitale Infrastruktur“ auszustatten, um 5000 Mobilfunkstandorte überall dort zu erschließen, wo der Ausbau für die beteiligten Unternehmen „schlicht nicht wirtschaftlich“ ist. Oder anders gesagt: Der Staat übernimmt die Unkosten, sprich: Der Bürger soll für seine unwirtschaftlichen Wünsche nach flächendeckender Mobilfunkversorgung selbst zahlen.

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