Gauck geht. Endlich!

Ein verfrühter Nachruf anlässlich eines überfälligen Abgangs

Der Bundespfaffe steigt von der Kanzel. Da kann auch der eingefleischteste Atheist nur einen Stoßseufzer gen Himmel senden und sagen: Gott sei Dank! Denn was soll es gewesen sein, wenn nicht eine göttliche Eingebung, was Joachim Gauck dazu bewegt haben könnte, uns von seiner zweiten Amtszeit aus Altersgründen zu verschonen. Man möchte soviel Einsicht nachgerade für einen empirischen Gottesbeweis halten. Seine Verzichtserklärung war schließlich das beste, was bisher von ihm zu vernehmen war.

Nur zur Erinnerung: Unser Pastor im höchsten Staatsamt lieferte bereits in einem Interviev 2012 die Vorlage für die Stellungnahmen der AfD zum Thema Islam. Befragt nach seinem Vorgänger und dessen Behauptung, der Isalm gehöre zu Deutschland, zeigte sich Herr Gauck recht reserviert. Nun ist der Slogan von Wulf wirklich ein Slogan und tatsächlich dämlich, denn wie sollte eine Religion zu einem Land gehören, und was hat die völkische Kategorie der Zugehörigkeit dort zu suchen, wo es um Rechtsverhältnisse geht? Aber es ist nicht das, was den angeblich sprachsensiblen Gauck stört. Mit Verweis darauf, dass solche Ein-Satz-Aussagen die Problematik verkürzen, wählte er eine ihm zusagendere Formulierung: „Ich hätte einfach gesagt, die Muslime, die hier leben, gehören zu Deutschland.“ Da sprach wohl der Vertreter des Christentums, um nicht zu sagen: des christlichen Abendlandes, aus ihm. Dass Muslime in Deutschland leben, kann man ja schlecht leugnen und ihnen das Recht dazu abzusprechen, geziemt dem Bundespräsidenten nun schon gar nicht. Aber der Religion einen Aufenthaltsstatus zuzugestehen, geht dem Pfaffen dann doch zu weit. Da zeigt er Verständnis für diejenigen, die den Satz nicht teilen mögen: „Da kann ich diejenigen eben auch verstehen, die fragen: Wo hat denn der Islam dieses Europa geprägt, hat er die Aufklärung erlebt, gar eine Reformation? Dafür habe ich Verständnis, solange das keinen rassistischen Unterton hat.“ Man muss nun nicht kleinlich werden und ihm empfehlen, doch einmal südlichere Regionen Europas zu besuchen, vielleicht einmal die Alhambra in Andalusien zu besichtigen, oder den Theologen darauf hinweisen, dass die für die mittelalterliche Scholastik so entscheidenden Schriften des Aristoteles auf dem Umweg über islamische Gelehrte nach Europa kamen. Interessanter ist seine Feststellung, dass der Islam keine Aufklärung und schon gar keine Reformation „erlebt“ habe. Durch die pure Reihung und das kleine Wörtchen „gar“ wird die Reformation zum Gipfel der Säkularisierungsbewegung bzw. zu dem gemacht, was an dezidiert religionskritischer, und zwar gegen die Religion des Christentums gerichteter Aufklärung gerade noch so erträglich ist. Da kam unser angeblich so wortgewandter Bundespastor nicht nur mit Geschichtsdaten ein wenig durcheinander, sondern legte auch beredtes Zeugnis davon ab, dass seine Sicht auf Staatsangelegenheiten allzu deutlich von seinen religiösen Überzeugungen getrübt ist. Die AfD hat sich auf ihrem letzten Parteitag dem Bundespräsidenten nun vollumfänglich angeschlossen, nur etwas konsequenter ausformuliert, was er nahelegte: Die Mulisme gehören dazu, der Islam aber nicht. So treffen sich diejenigen, die die aufklärerische Religionskritik gegen jede Aufklärung für Diskriminierung instrumentatlisieren mit dem Vertreter des Protestantismus, der wie jede zumindest monotheistische Religion keine andere neben sich dulden kann, darin, das Christentum unter der Hand wenn nicht zur Staats- so doch zur Volksreligion zu erklären. Das sind diejenigen, die Muslimen gerne vorwerfen, sie seien unfähig, Staat und Kirche auseinanderzuhalten.

Das ist aber nicht die einzige rhetorische und politische Großtat, die der Mann, der gerne ob seiner „Ecken und Kanten“, also für seine Unabhängigkeit gegenüber den Parteien und dafür gelobt wird, dass er auch mal etwas sagt, was ihnen nicht gefällt, in seiner Amtszeit vollbracht hat. Hervorgehoben wird in den Gazetten auch seine Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Da buchstabierte er aus, was seine absolute Lieblingsfloskel Verantwortung für die Außenpolitik bedeutet: „Die Bundesrepublik sollte sich als guter Partner früher, entschiedener und substantieller einbringen.“ Was diese lauwarme Formulierung im Kontext dieser Veranstaltung bedeuten sollte, liegt auf der Hand: Mehr Kriegeinsätze der Bundeswehr, um zusammen mit den Partnern der Bundesrepublik deren gemeinsame Interessen nicht nur am Hindukusch zu „verteidigen“. So stellte er wieder unter Beweis, wie unbequem er sein kann, weil es nunmal nicht immer angenehm ist Verantwortung zu übernehmen. Allerdings war diese Bemerkung nicht unbedingt unbequem für die Regierung, deren neue außenpolitische Linie, vertreten durch die Verteidigungsministerin und den Außenminister auf derselben Konferenz, er damit nur präludierte. Unbequem wird es wohl eher für diejenigen, die nun zum Morden rausgeschickt werden und für ihre Opfer. Dank sei dem Prinzip der Arbeitsteilung, die es dem guten Christen erlaubt, die schwere Last der Verantwortung fürs Töten zu tragen, wenn andere die Drecksarbeit für ihn erledigen.

Zuletzt machte Herr Gauck noch einmal auf sich aufmerksam, indem er die bis heute uneingestandene Wende in der Flüchtlingspolitik der Merkelregierung vorbereitete. In schönstem Pfaffenton äußerte er sich dazu: „Wir wollen helfen. Unser Herz ist weit. Doch unsere Möglichkeiten, sie sind endlich.“ Und er fügte zur Erklärung und schon etwas nüchterner hinzu: „Wir kennen den rechtlichen Rahmen. Unser Asyl- und Flüchtlingsrecht fragt bei jedem Einzelnen nur danach, ob die Voraussetzungen der Schutzgewährung vorliegen. Es bemisst sich nicht nach Zahlen. Und doch wissen wir: Unsere Aufnahmekapazität ist begrenzt, auch wenn noch nicht ausgehandelt ist, wo die Grenzen liegen. Aus all dem folgt für mich: Wir brauchen gründliche Analysen und eine breite gesellschaftliche Debatte darüber, wie wir eine humane Aufnahmepolitik und eine gesellschaftliche Aufnahmebereitschaft auch in Zukunft sichern können. Einem Gedanken meines Vorgängers Johannes Rau folgend, sollten wir uns dabei „weder von Ängsten noch von Träumereien“ leiten lassen.“ Wieder zeugt die Sprache gegen den Mann, dem die Macht der Worte zugeschrieben wird. Die tiefsinnige Einsicht, dass die Hilfsmöglichkeiten eines Landes zu einem gegebenen Zeitpunkt immer endlich sind, suggeriert, dass die Grenze dort verläuft, wo die Flüchtlinge auch hier nicht mehr versorgt werden können – eine objektive Überforderung, die vielleicht gegeben wäre, wie das Bedauern über die Endlichkeit ebenfalls suggeriert, wenn tatsächlich alle Flüchtlinge dieser Erde im Schloss Bellevue einziehen wollten. Die Erläuterung hingegen macht die Bestimmung der Grenze zu einer Sache der Aushandlung. Das ist keineswegs unschlüssig, verschiebt aber deutlich den Akzent. Schlüssig ist die Erläuterung insofern, als die Hilfeleistung eine gesellschaftliche Anstrengung erfordert und der Streit über ihr Maß die aufnehmende Gesellschaft so zerrütten kann, dass sie zur Hilfeleistung auch nicht mehr in der Lage ist. Der Akzent wird damit dennoch vom Können aufs Wollen der vermeintlichen Helfer verrückt. Die Erläuterung bringt die Sache mithin auf den Punkt: Die Grenze liegt da, wo „wir“ sie ziehen. Die frohe Botschaft an Seehofer, AfD und Konsorten, die daraus spricht ist keine andere als: Wir wollen nicht so viele Flüchtlinge! Und wenn wir das Gefühl haben, es kommen zuviele, machen wir doch die Grenzen dicht – Asylrecht und Schengen hin oder her! Der Rest der Rede, vor allem der Verweis auf den protestantischsten seiner Vorgänger, dient nur dazu, die Botschaft, die sehr wohl verstanden wurde, damit zu verbrämen, dass man doch schon tue, was man könne und dass es „uns“ unendlich leid tue, nicht mehr tun zu können. Jeder könne doch an den wohlabgewogenen Überlegungen unseres Staatsoberhauptes ablesen, wie schwer eine solche Entscheidung falle und welch verantwortungsvoller Umgang damit hierzulande gepflegt werde. Zum Beweis packt Herr Gauck schließlich den gesamten Instrumentenkasten protestantischer Heuchelrhetorik aus.

Summa summarum ergibt sich aus diesen in den Zeitungen immer hervorgehobenen Eckdaten seines großartigen Wirkens nur das Bild des überzeugten Christen, der allzu gerne seine Nächstenliebe zur Schau trägt, um im selben Atemzug und in ihrem Namen Missachtung anderer Religionen, Krieg und Rassismus zu predigen. Nun glaubt sicher niemand, dass der nächste sich anders verhalten wird, aber vielleicht wird er sich eines anderen Tons befleißigen. Wenn dieser Pfaffensingsang eine Ende hätte, wäre das doch zumindest eine Wohltat für die Ohren. Deshalb sei Herr Gauck beglückwünscht zu seiner dem allgemeinen Wohl verpflichteten Entscheidung und ihm auf seinem letzten Amtsweg zugerufen: „Geh‘ mit Gott – aber geh‘!“

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